Begonnen hatte alles ganz harmlos: Hobby-Fussballer Kariem Hussein nahm 2009 an der Thurgauer Mittelschulmeisterschaft teil. Der 20-Jährige schaffte im Hochsprung 2,01 m - ohne speziell dafür trainiert zu haben. Vor Ort war auch ein gewisser Werner Dietrich. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf.
Der Entdecker des Talents
Dietrich ist einer der aufmerksamsten Beobachter der Schweizer Leichtathletik-Szene. «Es gibt keinen anderen, der so regelmässig Talente herausbringt», erklärte der technische Direktor des Verbandes, Peter Schläpfer, gegenüber der NZZ . Unter anderem hatte Dietrich auch Kugelstösser Werner Günthör betreut, der 1986 EM-Gold holte. Und genau dahin sollte auch Husseins Weg führen.
Auf Anregung von Dietrich sattelte Hussein um, setzte neben seinem Medizinstudium auf die Leichtathletik und zeigte, mittlerweile von Flavio Zberg trainiert, über 400 m Hürden bald grosse Fortschritte. Fast märchenhaft mutet der vorläufige Höhepunkt der Geschichte an: Hussein lief an der Heim-EM im Letzigrund am Freitagabend sensationell zu Gold.
Die schnellen Medizinstudenten
Hussein ist erst der fünfte Schweizer Athlet, der sich in seiner Disziplin bester Mann Europas nennen darf. Vor ihm hatten Geher Fritz Schwab 1950, 200-m-Sprinter Philippe Clerc 1969, Günthör 1986 und Marathonläufer Viktor Röthlin 2010 triumphiert.
Besonders zu Titelgewinner Clerc gibt es einige Parallelen. Der Waadtländer war kein Athlet, welcher sein Leben zu 100 Prozent auf die Leichtathletik ausrichtete. «Sportliche Erfolge machen Freude, sind aber nicht wichtiger als ein gemütlicher Tag mit guten Freunden», erklärt der passionierte Hobby-Winzer seine unverkrampfte Einstellung zum Sport. Wie Kariem Hussein war Clerc bei seinem EM-Triumph Medizinstudent und mit 22 Jahren gar noch deren drei jünger als Hussein.
Zur Weltspitze fehlt eine knappe Sekunde
Auch Hussein wollte vom reinen Profisport nichts wissen. Die Leichtathletik hatte sich als ideales, individuell gestaltbares Training neben dem Medizinstudium angeboten. Entsprechend gespannt darf man darauf sein, wie Hussein seine mittelfristige Zukunft nach dem magischen Abend im Letzigrund plant.
Der Ostschweizer hat die besten Jahre noch vor sich. Um auch international an der Spitze mitlaufen zu können, fehlt aber noch eine knappe Sekunde. Über Talent und die notwendige mentale Stärke verfügt Hussein zweifellos. Ob ein Teilzeit-Pensum reicht, um die Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben, ist aber fraglich.
«Arzt werden kannst du noch lange. Profi-Leichtathlet zu sein, diese Möglichkeit bietet sich aber wohl nur einmal», ermunterte André Bucher, 800-m-Weltmeister von 2001, den frischgebackenen Europameister.
Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 15.08.2014, 17:50 Uhr.