Gross war die Verwirrung bei den Schweizer Leichtathletik-Fans, als Jason Joseph im WM-Final über 110 Meter Hürden noch vor dem ersten Hindernis abbremste und seinen Lauf abbrach. Doch nicht nur das Publikum war ratlos. Auch Joseph selbst und seine Trainerin Claudine Müller wussten kurz nach dem Rennen nicht wirklich, auf was der Aussetzer zurückzuführen ist.
Ungewohntes Gefühl vom guten Start
«Es ist wirklich surreal», sagte der Basler im SRF-Interview, nachdem er einige Minuten auf der Bahn sitzen geblieben war. «Ich habe das ganze Jahr trainiert, zeigte eine solide Saison, war fit, der Vorlauf und der Halbfinal waren gut wie auch das Warm-up. Ich wusste, dass ich nur das machen muss, was ich kann und dann passiert so etwas. Das ist hart.»
Was war denn passiert? «Keine Ahnung. Ich weiss nicht einmal, warum ich die erste Hürde nicht genommen habe, was das Problem war. Ich habe das Gefühl, mir fehlt die Erfahrung, wenn ich mal einen richtig guten Start habe, dass es sich anfühlt, als würde etwas nicht stimmen. Ich werde daraus lernen, irgendwann klappt es und ich stehe ganz oben.»
Ähnliche Situation vor 2 Jahren
Auch Trainerin Müller wusste erst nicht, was passiert war. «Nachdem ich nun kurz mit ihm gesprochen habe, ist unsere Erklärung, dass er wirklich zu gut aus den Blöcken gekommen ist, das Gefühl nicht einordnen konnte und die Hürde zu spät gesehen hat», analysierte die Baselbieterin das Geschehene etwas später. Er hätte vor 2 Jahren in Bellinzona an den Schweizermeisterschaften schon eine ähnliche Situation erlebt.
Jetzt sei es wichtig, dass Joseph seine Emotionen rauslassen könne und für eine Weile abschalte. «Danach schauen wir, was wir daraus lernen können. Grundsätzlich ist es ja toll, wenn er einen besseren Start hat. Wichtig ist aber, dass er es dann auch durchziehen kann und dies werden wir im Training versuchen», blickte die ehemalige Siebenkämpferin voraus.
Nächster verpatzter Grossanlass
Joseph ist alles andere als ein Grossmaul, doch ist er keiner, der um den heissen Brei herumredet. Von daher hatte der 26-jährige Baselbieter keinen Hehl daraus gemacht, dass er nach Tokio gereist war, um eine Medaille zu gewinnen. Und eine solche wäre im Final von Tokio auch im Bereich des Möglichen gelegen.
Im Halbfinal lief der Schweizer in 13,18 Sekunden die viertschnellste Zeit. Mit seiner persönlichen Bestzeit von 13,07 Sekunden, die er in diesem Jahr schon 2 Mal egalisiert hat, hätte Joseph denn auch Silber gewonnen. Hinter dem seiner Favoritenrolle gerecht gewordenen Amerikaner Cordell Tinch (12,99) komplettierten die Jamaikaner Orlando Bennett und Tyler Mason mit 13,08 respektive 13,12 Sekunden das Podest.
Joseph stand schon vor zwei Jahren in Budapest im WM-Final – als erster Schweizer Sprinter überhaupt. Aber auch damals erlebte er mit dem 7. Platz eine Enttäuschung. So muss Joseph bei der Elite weiter auf seine erste Medaille auf Weltniveau warten. Im vergangenen Jahr gewann er an der EM Bronze, nachdem er 2023 Hallen-Europameister über 60 m Hürden geworden war.