Fabio Jakobsen stand mit feuchten Augen im Zielraum von Molina de Aragon, überwältigt vom Gefühl schieren Glückes. Vom Glück, ein Überlebender zu sein, aus dem ein Rückkehrer wurde, der nun wieder ein Champion ist.
Das war der allerschönste Sieg meiner Karriere, es ist alles wie ein Traum.
377 Tage nachdem sein Leben beinahe auf polnischem Asphalt geendet und eine brutale Leidenszeit begonnen hatte, gewann der niederländische Radprofi die 4. Etappe der Vuelta. In einem jener Massensprints, in denen er einst fast umgekommen wäre. Es ist nicht weniger als ein Wunder.
Ein Kreis hat sich geschlossen
«Das war der allerschönste Sieg meiner Karriere, es ist alles wie ein Traum», sagte der 24-Jährige: «Jetzt fühlt es sich an, als habe sich ein Kreis geschlossen. Als sei mein Comeback nun vollendet, nach alldem, was im vergangenen Jahr passiert ist. Es war eine lange Reise. Und jetzt hier als Sieger bei einer Grand Tour zu stehen, macht mich unglaublich glücklich.»
In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben.
Unglaublich glücklich durfte Jakobsen freilich schon allein darüber sein, dass er an jenem 5. August 2020 überhaupt mit dem Leben davon gekommen ist. Damals war der Quick-Step-Profi bei der Polen-Rundfahrt von Landsmann Dylan Groenewegen im Zielsprint in die Gitter gerammt worden, lag im Koma, mit schwersten Kopfverletzungen, entstelltem Gesicht, nur noch einem einzigen Zahn im Mund. «In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben», sagte Jakobsen.
Die Spuren sind noch zu sehen
Noch heute, nach einer Vielzahl an plastischen Operationen, sind die Sturzfolgen sichtbar:
- Sein mit 130 Stichen geflicktes Gesicht wirkt etwas unnatürlich.
- Die Sprache ist ein wenig unklar, nachdem seine Stimmbänder als Unfallfolge gelähmt waren.
- Der neue Kiefer, aus Jakobsens Beckenknochen modelliert, enthält noch provisorische Kunstzähne.
Jakobsen hätte damit zufrieden sein können, denkbar knapp an Sarg oder zumindest Rollstuhl vorbeigerast zu sein. Er war es nicht. Kein halbes Jahr nach dem Crash kehrte er ins Training zurück, bestritt im April bei der Türkei-Rundfahrt seine ersten Rennen, gewann im Juli bei der Tour de Wallonie erstmals. Und gehört spätestens seit dem 3. Vuelta-Etappensieg seiner Karriere wieder zu den weltbesten Sprintern.
Kein Zögern, kein Zurückziehen
Dass Jakobsen mental überhaupt in der Lage ist, im knallharten Metier der Massenspurts mitzumischen, ist das vielleicht Verwunderlichste. Denn genau dabei ist er beinahe ums Leben gekommen und bei solch hektischen Entscheidungen kostet jedes Zurückziehen die Siegchance.
«Das Finale war natürlich hektisch», sagte er nach seinem Vuelta-Triumph achselzuckend, «aber so ist das eben immer in den Massensprints».