Die Kirsche auf der Torte in Form des Gewinns der Abfahrtskugel ist Lara Gut-Behrami zwar verwehrt geblieben. Dennoch blickt die 32-Jährige auf die erfolgreichste Saison ihrer Karriere zurück. Im Interview mit SRF gewährt sie Einblicke in ihre Gefühlswelt und erklärt, was der Gewinn im Gesamtweltcup von jenem aus dem Jahr 2016 unterscheidet.
Gehen wir zurück zum Saisonstart in Sölden. Mit welchen Erwartungen sind Sie in diesen Winter gestartet?
Gut-Behrami: Ich habe gehofft, dass ich schnell Skifahren kann. Vor allem aber wollte ich es geniessen. Früher war das schwieriger. Im Wissen, dass es die letzten Jahre meiner Karriere sein werden, wollte ich aber geniessen, wofür ich so lange gearbeitet habe.
Sie haben die wiedergefundene «Freude» im Verlaufe der Saison immer wieder erwähnt. Warum hatten Sie diese verloren?
Es hat alles mit einer Leidenschaft angefangen, Skifahren war als Kind einfach pure Freude. Irgendwann wurde es zum Beruf. Im Beruf gibt es Sachen, die man nicht gerne tut. Ich habe gelitten und häufig nicht gewusst, wie ich mit gewissen Situationen umgehen soll. Es ist nicht das einfachste Leben. Als Mensch und als Athletin hat man unterschiedliche Prioritäten. Ich habe gemerkt, dass das eine nicht mehr wert ist als das andere. Ich wollte das Skifahren beibehalten, aber mit Leidenschaft und Freude und nicht, dass das Resultat an vorderster Stelle steht. Klar, wenn ich am Start stehe, möchte ich gewinnen, aber irgendwann muss die Freude wichtiger sein als das Resultat.
Welche Puzzleteile passen jetzt zusammen, damit Sie die Freude wieder finden konnten?
Es ist eine Balance zwischen dem Leben und dem Skifahren. Es trifft mich immer noch, wenn ich nicht gut fahre und es nicht so läuft wie erhofft. Im Hinterkopf habe ich dann aber Gedanken, die mir zeigen, was ich bereits alles erreicht habe. Auf diese kann ich vertrauen und mich so regenerieren. Das hat so viel Wert und ist mir viel wichtiger als ein einzelnes Rennen.
Hat die Freude auch unter dem Druck von aussen, den hohen Erwartungen gelitten?
Es war ein Zusammenspiel von vielen Faktoren. Ich bin in diesem Geschäft langsam erwachsen geworden. Mir ist jetzt bewusst geworden, wie verschieden man als Spitzensportlerin und Mensch lebt. Ich habe bisher nicht den Weg gefunden, den Spitzensport entspannt anzugehen. Der Wille, immer besser zu werden, hat mich angetrieben. Das ist der Weg, um Erfolg zu haben. Er ist aber anstrengend und nicht schön. Ich freue mich auf ein Leben, jeden Tag aufzustehen und zu realisieren, wie schön das Leben ist. Ohne den ständigen Gedanken daran, was man noch verbessern könnte.
Können Sie das: einfach zurücklehnen?
Es ist etwas, was ich vorher nicht gekannt habe. Es ist mir bewusst, dass ich das 20 Jahre lang gemacht habe. Zum Glück habe ich eine Familie zuhause, die genau weiss, wie ich ticke. Sie sind in der Lage, mir das «normale Leben» zu zeigen. Als ich meinen Mann kennengelernt habe, konnte ich das noch nicht. Mit den Jahren habe ich das gelernt. Ich glaube, ich werde immer Herausforderungen suchen. Aber es muss nicht immer darum gehen, die Schnellste zu sein. Darauf freue ich mich.
Diese Saison war ich in der Lage, immer an die Grenze zu gehen, sie aber nicht zu überschreiten.
Wann kam bei Ihnen in dieser Saison der Moment, in dem Sie realisierten, wie erfolgreich sie werden könnte?
Eigentlich nie. Während einer Saison muss man sich ständig anpassen. Wenn es nicht gut läuft, muss man schauen, wie man sich verbessern kann. Wenn man einmal gewinnt, muss man schauen, wie man das Niveau halten kann. Ab Mitte Januar wurde der Druck grösser, weil nicht jedes Rennen einzeln zählt, sondern die Kugeln in Aussicht sind. Das ist bis zum letzten Renntag so.
Konnten Sie mit der hohen Erwartungshaltung gut umgehen?
Man kommt nicht ans Weltcupfinale mit vielen Kugel-Chancen, wenn man das nicht die ganze Saison aufgebaut hat. Klar hätte ich die 4. Kugel gerne geholt. Es war aber kein besonderer Druck. Ich wusste, dass die Abfahrtskugel die unwahrscheinlichste sein wird. Zu verlieren hatte ich sowieso nichts.
Was wird Ihnen von dieser Saison bleiben?
Keine Ahnung, so weit bin ich noch nicht. Es braucht noch Zeit, dies zu verdauen. Als ich 2016 die Kugel gewonnen hatte, dachte ich, man gewinnt die Kugel wenn man den Winter übersteht. Jetzt weiss ich, dass man die Saison meistern muss. Diese Saison war ich in der Lage, immer an die Grenze zu gehen, sie aber nicht zu überschreiten. Das wollte ich immer können und habe ich nun geschafft.
Das Gespräch führte Lukas Studer.