Urs Z. schläft schlecht. Schon seit Jahren. Gerädert steht er am Morgen auf, schleppt sich mühsam zur Arbeit und will abends nur noch heim ins Bett. Obwohl er weiss: Er wird auch diese Nacht nicht einschlafen können. Abends liegt er wach im Bett und zählt sorgenvoll die Stunden, bis er wieder aufstehen muss.
Wie viele andere mit Schlafproblemen greift er schliesslich zu Tabletten. In seinem Fall ist es ein «Neuroleptikum», das sogenannt «schlafanstossend» wirken soll. Das Medikament hilft ihm zwar einzuschlafen, aber am nächsten Tag ist er trotzdem nicht fit und hat «eine Scheibe», wie er den Zustand bezeichnet.
Tabletten als Scheinlösung
«Schlafmittel sollten immer nur eine temporäre Lösung in Akutsituationen sein», warnt die Psychologin und Psychotherapeutin Simone Duss. «Längerfristig beheben sie die Ursachen von Schlafstörungen nicht und machen abhängig.» Auch von den neueren, sogenannten Z-Substanzen wie Zolpidem oder Zopiclon rät die Psychologin ab. Das sind modernere Schlafmittel, die heute häufig anstelle der früher gängigen Benzodiazepine verschrieben werden.
Schlafprobleme haben oft einen Auslöser
Unter chronischen Schlafstörungen, welche die Diagnosekriterien einer klinisch relevanten Insomnie erfüllen, leiden weltweit etwa sechs bis 15 Prozent der Bevölkerung. Insomnie bedeutet, dass die Betroffenen nicht nur schlecht schlafen, sondern tagsüber durch den schlechten Schlaf beeinträchtigt sind: Sie sind reizbar, haben Konzentrationsschwierigkeiten oder Tagesmüdigkeit.
Gut 30 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer klagen über Schlafprobleme, wie eine neuere Umfrage von Hausärztinnen und Hausärzten unter ihren Patienten ergab. Was nicht heisst, dass alle dieser Schlafprobleme das Ausmass einer Insomnie im schlafmedizinischen Sinne angenommen haben.
«Am Anfang der Schlaflosigkeit steht oft ein Auslöser, ein Stressfaktor», erklärt Simone Duss, die am Inselspital und bei den universitären psychiatrischen Diensten in Schlaf-Beratung und -Forschung arbeitet. Bei Studierenden beispielsweise anstehende Prüfungen oder später im Berufsleben Deadlines oder Leistungsdruck. «Wenn der Stressfaktor wegfällt, man immer noch nicht gut schläft und mehr als drei Monate vergangen sind, dann lohnt es sich, das Problem anzugehen.»
70 Prozent nehmen Medikamente
Viele, die mehr als nur gelegentliche Ein- und Durchschlafprobleme haben, und sich tagsüber nicht mehr leistungsfähig fühlen, sprechen als Erstes mit der Hausärztin oder dem Hausarzt. Dort erhalten sie oft nicht mehr als gute Ratschläge – oder im schlechteren Fall Tabletten verschrieben.
Das hat eine Studie des Instituts für Hausarztmedizin der Uni Bern gezeigt. Von Schlafstörungen Betroffene nahmen zu 70 Prozent Medikamente gegen ihre Probleme: 38 Prozent Benzodiazepine und 32 Prozent Antidepressiva. Dabei machen Tabletten abhängig und haben Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Konzentrationsprobleme.
Nur ein Prozent erhält Verhaltenstherapie verschrieben
Nur eine von 100 Personen wird gemäss Studie mit kognitiver Verhaltenstherapie behandelt. Dabei wäre dies gemäss Leitlinien der Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin die Therapie, die als erstes gewählt werden sollte – vor einer medikamentösen Therapie. Denn sie bietet langfristige Erfolge ohne Abhängigkeitspotential, weil es zu Verhaltensveränderungen kommt.
Albrecht Vorster, auch er Schlafspezialist am Inselspital, formuliert es so: «Das ist, wenn ich eine Diätpille gegen Übergewicht nehme, dann führt das nicht zu einer Ernährungsumstellung. Und nur eine Ernährungsumstellung führt eigentlich zu einem Optimalgewicht.» Genauso ist es beim Schlaf: Nur eine Verhaltensänderung dem eigenen Schlaf gegenüber führt zu einem guten Schlaf.
«Leider fehlt es teilweise am Wissen, dass es diese Behandlungsform gibt. Es lohnt sich, die Hausärztin oder den Hausarzt allenfalls darauf hinzuweisen», erklärt Simone Duss.
Verhaltensänderung braucht Disziplin
Kognitive Verhaltenstherapie ist keine Persönlichkeitsanalyse. Vielmehr steht das eigene Schlafverhalten im Mittelpunkt. Das Ziel ist es, dieses strukturiert zu analysieren und Veränderungen einzuleiten. Als Therapieform verspricht sie längerfristig die grösseren Erfolge als Medikamente.
«Jede Verhaltensänderung braucht Geduld und ist harte Arbeit», weiss Simone Duss. «Am Anfang muss man Sachen machen, die einen mehr belasten als entspannen und einem deswegen kontraintuitiv vorkommen.» Beispielsweise, dass man weniger lang im Bett liegen sollte, obwohl man sich müde und erschöpft fühlt.
Unrealistische Erwartungen an den Schlaf
In der Verhaltenstherapie werden auch Vorurteile rund um den Schlaf geklärt. Etwa, dass Aufwachen in der Nacht nicht normal wäre oder Durchschlafen in jeder Lebensphase ein Muss sei. «Bei Frauen können hormonelle Veränderungen auch Einfluss auf die Schlaf-Architektur haben», erklärt Simone Duss. Und: «Je älter man wird, desto weniger Tiefschlaf hat man. Das Aufwachen wird häufiger, das ist normal und nicht behandlungsbedürftig.»
Sich wegen Schlafproblemen in ärztliche Behandlung zu begeben, scheuen viele. «Selbsthilfebücher können in einem ersten Schritt durchaus unterstützen», erklärt Schlafspezialistin Simone Duss. «Wenn das aber nicht hilft, kann immer noch eine Gruppe- oder Einzeltherapie versucht werden.»
Mangel an Therapeutinnen und Therapeuten
Allerdings mangelt es in der Schweiz an ausgebildeten Schlaf-Therapeutinnen und Therapeuten. Auf der Homepage des Verbands der Psychologinnen und Psychologen kann gezielt nach einer Fachperson in der Nähe des Wohnortes gesucht werden, die eine Verhaltenstherapie anbietet. Bei den Symptomen «Schlafstörungen» anwählen, bei der Methode «Verhaltenstherapie».
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Online-Therapie und Apps
Wegen fehlenden Therapeutinnen und weil die Einstiegsschwelle tiefer ist, versucht die Schlafforschung, vermehrt Online-Therapien oder Apps zu entwickeln. Diese folgen auch den Prinzipien einer Verhaltenstherapie. So bietet etwa die Schlafklinik Zurzach eine internetbasierte Therapie an. Schlaf-Apps sind erst wenige auf dem Markt.
Digitale Therapien sind wirksam
Online-Therapien oder Schlaf-Apps wie beispielsweise «Somnio» oder «7Schläfer», die wissenschaftlich fundiert sind, können es in Sachen Wirksamkeit mit klassischen Verhaltenstherapien vor Ort aufnehmen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sie fast ebenso wirksam sind.
Wer seine Schlafstörungen so angeht, sollte aber klar ausschliessen können, dass dies medizinische Gründe hat, wie zum Beispiel Schlafapnoe oder das «Restless Leg Symptom». Hier sind unter Umständen umfassendere Abklärungen in einem Schlaflabor oder einer Schlafklinik notwendig.
Einigen könnte es aber wie Urs Z. gehen. Er versucht weiterhin, mit Tabletten über die Runde zu kommen. Zu einer Abklärung seiner Schlafprobleme konnte er sich bisher nicht durchringen: «Wenn ich so viel arbeiten muss und so müde bin, ist mir jeder Extraaufwand zu viel.»