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Kontrovers diskutiert  Ist Feinstaub ein treibender Faktor für Antibiotikaresistenzen?

Die weltweite Feinstaubbelastung hängt laut kürzlich veröffentlichter Studie mit Antibiotikaresistenzen zusammen. Die Interpretation dieses Zusammenhangs sorgt für Zweifel. 

Zeitsprung zum Beginn der Corona-Pandemie: Lange wurde die Verbreitung der Viren durch Aerosole unterschätzt. Nun dreht sich die Diskussion nicht um Aerosole und Viren, sondern um Feinstaub und Antibiotikaresistenzen. Unterschätzen wir die Übertragung durch kleinste Luftpartikel aufs Neue? Das legt zumindest eine im «The Lancet Planetary Health» veröffentlichten Studie nahe. 

Die Studienergebnisse zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Feinstaub und Antibiotikaresistenzen: Die Gesamtkonzentration von Feinstaubpartikeln mit einem Durchmesser kleiner als 2.5 Mikrometern (PM2.5) in der Luft korrelierte mit dem regionalen Auftreten von Antibiotikaresistenzen. Soll heissen: wo mehr Feinstaub, da auch mehr Resistenzen.  

So kommt die Studie zu ihrem Schluss

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Die kürzlich veröffentlichte Studie gilt als umfangreichste Studie dieser Art. Anhand von Daten aus 116 Ländern vom Jahr 2000 bis 2018 hat die Forschungsgruppe um Hong Chen einen Datensatz über Antibiotikaresistenzmuster erstellt. Sie testete 11.5 Millionen Proben, darunter neun bakterielle Krankheitserreger und 43 Arten von Antibiotika. In die statistischen Analysen flossen zudem Daten zum Antibiotikagebrauch, zu Luftverschmutzung und Klima, sanitären Einrichtungen, aber auch etwa zu Gesundheitsausgaben und Bildung mit ein.  

Die Ergebnisse zeigen bei den meisten antibiotikaresistenten Bakterien signifikante Zusammenhänge zwischen Feinstaub PM2.5 und Resistenzen. Verschiedene modellierte Szenarien ergaben ausserdem, dass Massnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung Antibiotikaresistenzen weltweit bremsen könnten. Sollte der von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Richtwert für Feinstaub PM2.5 von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft eingehalten werden, würden sich die Resistenzen bis 2050 im Vergleich um rund 17 Prozent reduzieren. Damit könnten laut Studie 23.4 Prozent der vorzeitigen Todesfälle vermieden werden. 

Bislang ging man davon aus, dass Feinstaub in der Übertragung von Antibiotikaresistenzen eine untergeordnete Rolle spielt. Das stellt die Studie jetzt infrage: Feinstaub PM2.5 soll im Jahr 2018 weltweit zu über 480'000 vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Resistenzen geführt haben. Vertraut man diesen Zahlen, wäre Feinstaub für fast 40 Prozent der durch Antibiotikaresistenz bedingten Todesfälle verantwortlich. Und damit ein Haupttreiber der globalen Resistenzen. 

So beachtlich die Zahlen, so kritisch das Echo 

Bei den veröffentlichten Zahlen sind sich Fachleute uneins. Kritisiert wird insbesondere die Schlussfolgerung, dass es sich hier um einen ursächlichen Zusammenhang handle. Konkret: Fachleute zweifeln daran, dass die Feinstaubbelastung tatsächlich für Antibiotikaresistenzen verantwortlich ist. So sei es zwar durchaus plausibel, dass Feinstaub Resistenzen verbreite. Der zugrundeliegende Mechanismus sei jedoch nicht hinlänglich bekannt.  

Wie Feinstaubpartikel Resistenzen verbreiten könnten

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Unter den globalen Gesundheitsrisiken dürften die zunehmende Feinstaubbelastung und weltweit wachsenden Antibiotikaresistenzen weit oben auf der Liste stehen. Was die scheinbar unterschiedlichen Phänomene miteinander zu tun haben, wird jedoch erst seit wenigen Jahren diskutiert. 

Dass Feinstaubpartikel Bakterien und Fragmente bakterieller DNA enthalten, ist bekannt. Diese Bakterien und DNA-Fragmente können auch Antibiotikaresistenz-Gene enthalten. Letztere stammen unter anderem aus der Massentierhaltung, so Hans-Peter Hutter, stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinische Universität Wien. Wenn der kontaminierte Feinstaub von Mensch und Tier eingeatmet wird, kann er «einerseits Infektionen auslösen, andererseits die in der Schleimhaut siedelnden Bakterien mit Resistenzgenen ‚versorgen‘», so Hutter. Einen zusätzlichen Effekt erklärt er dadurch, dass Feinstaubpartikel, die Zellmembran durchlässiger machen und damit die Aufnahme der Resistenzgene erleichtern. Aber ob diese potenzielle Übertragung durch Feinstaubpartikel tatsächlich zu einer Zunahme von Antibiotikaresistenzen führt, ist bisher unklar. 

Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz-Zentrum München, macht auf eine weitere «logische Lücke» aufmerksam: Die Autorenschaft setzt die Gesamtmenge PM2.5 mit Feinstaub PM2.5 gleich, der auch tatsächlich Antibiotikaresistenzen trägt. Göttlicher gibt zu bedenken: «Bei uns ist PM2.5 im Wesentlichen durch Verbrennungsprozesse und Strassenverkehr getrieben – aus diesen Quellen kommen offensichtlich keine Antibiotikaresistenzen her.» In Regionen mit einem unvorsichtigeren Umgang mit Abwasser, Klinikabfall oder etwa Viehzucht möge das anders sein. 

«Ein willkommener Nebeneffekt» 

Insgesamt trage die Studie zwar dazu bei, den Zusammenhang von Feinstaubbelastung und Antibiotikaresistenzen wissenschaftlich zu diskutieren, so Harald Seifert. Er ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Köln. Einen Beleg dafür, dass Feinstaub Resistenzen massgeblich verbreite, liefert die Studie jedoch nicht.  

Unumstritten bleibt: Sowohl bei den zunehmenden Antibiotikaresistenzen als auch bei der Schadstoffbelastung besteht massiver Handlungsbedarf. Die negativen Auswirkungen einer hohen Feinstaubbelastung auf die Gesundheit wären eigentlich bereits Grund genug, alle Anstrengungen dagegen zu unternehmen, so Seifert. Er argumentiert: «Wenn eine Verringerung der Feinstaubbelastung die Zunahme der Antibiotikaresistenzen verlangsamt, ist das ein willkommener Nebeneffekt.»

Heute Morgen, 03.08.2023, 06:00 Uhr

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