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Einsatz von «Off-Label» Medikamenten wirft Fragen auf
Aus Rendez-vous vom 07.06.2013. Bild: Keystone
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Krebstherapie – Abhängig von der Gunst der Krankenkasse

Jedes Jahr erkranken in der Schweiz fast 40'000 Menschen an Krebs. Wenn das Arsenal an zugelassenen Medikamenten ausgeschöpft ist, versuchen es Ärzte oft mit Präparaten, die keine Zulassung für die jeweilige Erkrankung haben – und stossen dabei an ihre Grenzen.

Die Diagnose Krebs wirft wohl die meisten Betroffenen erst einmal aus der Bahn. Aber es kann noch schlimmer kommen. Krebsarzt Daniel Betticher berichtet von einem Patienten, der mit einer besonders schwierigen Situationen konfrontiert war: Sein Krebs hatte Ableger in der Leber gebildet. Nach einer Chemotherapie wollte Betticher ein weiteres Präparat einsetzen, einen Antikörper, der für manche Behandlungen zugelassen ist, nicht aber für diesen Leberkrebs. Aufgrund einiger positiver Studien erhoffte sich der Arzt vom Kantonsspital Freiburg aber eine Wirkung. «In diesem Fall muss man die Krankenkasse fragen, ob sie die Kosten für die Behandlung übernimmt – und sie lehnte ab, obwohl andere Kassen die gleiche Therapie in ähnlichen Fällen übernommen hatten.»

Laut Gesetz muss die Kasse den Off-Label-Einsatz nur bezahlen, wenn das Medikament einen grossen therapeutischen Nutzen birgt. Ob dem so ist, bestimmt - die Krankenkasse. «Wenn sie Krebs haben und noch unklar ist, ob eine Therapie bezahlt wird, dann wird es für die Patienten enorm schwierig», kommentiert Daniel Betticher.

Unterschiedlich behandelte Einzelfälle

Paul Rhyn von Santésuisse entgegnet, solche Situationen kämen nach Informationen des Kassenverbands kaum vor. Aber das Gesetz schreibe nun mal vor, dass die Kassen den Nutzen der Behandlung abschätzen müssten: «Und dann ist in der Beurteilung eines Einzelfalls eine unterschiedliche Vergütung möglich.»

Bisher war gar nicht bekannt, wie oft in der Schweiz Krebsmedikamente off-label eingesetzt werden. Darum hat die Krebsliga dies untersuchen lassen. Die Forscher kamen auf 7000 bis 10'000 Fälle pro Jahr. Eine separate Studie in der Ostschweiz hat ergeben, dass ein Drittel aller Krebspatienten mindestens einmal mit Off-Label-Medikamenten behandelt wird.

Zulassung nur, wenn es sich finanziell lohnt

Dazu kommt es unter anderem, weil Pharmafirmen viele Präparate nur für häufige Krebsarten zur Zulassung einreichen. Bei einem seltenen Krebs lohnen sich die Kosten im kleinen Schweizer Markt kaum. Das heisst aber nicht, dass nicht anderswo Studien gemacht worden sind, die beispielsweise zeigen, dass Präparat X wirksam ist für einen seltenen Hirntumor, auch wenn es in der Schweiz nicht dafür zugelassen ist.

Onkologe Thomas Cerny vom Kantonsspital St. Gallen kritisiert die Praxis der Pharma-Unternehmen: «Sie lassen uns zusammen mit den Patienten im Regen stehen.» Es gebe einige Präparate, die in der Schweiz nicht zugelassen seien, international aber als Standard gelten würden. In diesen Fällen wisse die Industrie, dass die Ärzte gar nicht anders handeln könnten, als den Patienten das Medikament zu geben. Allerdings beteiligen sich manche Pharmafirmen an den Kosten eines Off-Label-Einsatzes oder sie bezahlen ihn gar ganz. Nur gibt es dafür keine gesetzliche Regel.

An einheitlicher Lösung interessiert

Die Krebsliga schlägt nun vor, das Zulassungsprozedere für Wirkstoffe, die bereits für manche Tumortypen zugelassen sind, zu vereinfachen, um die unbefriedigende Situation zu verbessern. Und sie möchte die Krankenkassen dazu bewegen, Off-Label-Einsätze künftig einheitlich zu beurteilen. Einige Kassen hätten schon Methoden dafür entwickelt, sagt Thomas Cerny. Dies bestätigt Paul Rhyn vom Kassenverband Santésuisse. Alle Krankenkassen «sind an einer einheitlichen Lösung interessiert.»

Auch nach einer Einigung wird der Off-Label-Einsatz allerdings weiter unangenehme Fragen aufwerfen, sagt der seit kurzem pensionierte Krebsarzt Urs Strebel. So stelle sich die Frage, wie viel es bringe, ein Medikament einzusetzen, das das Leben um drei, vier Wochen verlängern könnte. Nur, wie sagt man das dem Patienten? «Es ist zeitlich viel aufwändiger, dieses Gespräch zu führen, als einem Patienten zu sagen, es gebe noch dieses eine neue Medikament. Weil dann im ersten Moment alle zufrieden sind – und man kann die ganze Geschichte in 20 Minuten abhandeln, statt in 60.»

Trotz aller medizinischen Fortschritte: Krebs wird Ärzten und Patienten auch in Zukunft schwere Entscheidungen abverlangen.

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Krebsliga
Aus Tagesschau vom 07.06.2013.
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