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Longevity-Forschung Länger leben mit Taurin? Wohl doch nicht!

Die organische Säure Taurin, die in zahlreichen Energy-Drinks vorhanden ist, verlangsamt angeblich den Alterungsprozess. Das versprach 2023 eine gefeierte Studie in der Fachzeitschrift «Science». Nun ziehen neue Untersuchungen diese Ergebnisse in Zweifel.

Taurin! Ein Wort, wie aus der Stierkampfarena!

Die Aminosulfonsäure Taurin steht für Leistungssteigerung, kraftstrotzende Energie – und in jüngerer Zeit auch für ein langes Leben. Vor zwei Jahren nämlich publizierte der indisch-stämmige Wissenschaftler Vijay Yadav aufsehenerregende Ergebnisse, die genau das versprachen.

«Schlanker, vifer, gesünder»

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Yadavs Team hatte festgestellt, dass der Taurinspiegel im Blut bei Mäusen, Affen und Menschen im Alter abnimmt. Erhielten Mäuse die Substanz als Ergänzungsmittel, waren sie gesünder und machten einen jüngeren Eindruck als die Tiere der Kontrollgruppe, sagte der Forscher 2023 vor den Medien. «Die Taurin-Mäuse waren schlanker, hatten dichtere Knochen, stärkere Muskeln, sie waren vifer, weniger ängstlich, und ihr Immunsystem schien jünger.»

Taurin wurde 1827 von zwei deutschen Wissenschaftlern aus der Ochsengalle isoliert. Daher stammt auch die Bezeichnung: «Taurin», aus dem Lateinischen taurus beziehungsweise Griechischen tauros, der Stier.

Alle Tiere, also auch der Mensch, enthalten und benötigen Taurin im Körper. Der grösste Teil davon befindet sich in den Muskelzellen, der Rest vor allem in Gehirn, Herz und Blut. Auch in der Muttermilch ist es vorhanden. Der Mensch braucht Taurin für die Bildung von Gallensäure, darüber hinaus ist die Substanz auch für die Entwicklung des Hirns und des Herzens wichtig.

Die Studie schlug ein wie eine Bombe. Rund um die Welt berichteten die Medien über das neue Langlebigkeits-Elixier – und die Umsätze von Taurin gingen durch die Decke. Allerdings hatten die Ergebnisse einen Haken: Sie stammten vorwiegend von Tieren.

Welche Rolle die Substanz beim alternden Menschen spielt, war zu wenig erforscht. Dies hat ein Wissenschaftsteam des National Institute on Aging der NIH in Baltimore, USA, nun nachgeholt.

Der Taurinspiegel sinkt nicht im Alter

Für die neue Studie hätten sie all ihre Daten im Längsschnittverfahren analysiert, erklärte Autorin Maria Emilia Fernandez in der Medienkonferenz. Längsschnitt heisst, die Forschenden massen die Taurinkonzentrationen mehrmals im Lauf der Zeit, und zwar bei drei verschiedenen Testgruppen: bei Rhesusaffen und Mäusen beiderlei Geschlechts sowie bei knapp 1000 Frauen und Männern aus drei unterschiedlichen Kohorten. Das Ziel war herauszufinden, wie sich die Menge an Taurin im Blut über die Lebensspanne verhält.

Aufgrund dieser Ergebnisse kommen wir zum Schluss, dass niedrige Taurinkonzentrationen im Blut kein Biomarker für das Altern sind.
Autor: Maria Emilia Fernandez National Institute on Aging NIH, Baltimore, USA

Die Resultate widersprechen der früheren Studie von Vijay Yadav diametral: Taurin nimmt mit dem Alter nicht ab – weder bei Rhesusaffen noch bei Mäusen, und auch nicht beim Menschen. Im Gegenteil: Bei allen Testgruppen zeigte sich über die gesamte Lebensspanne ein Anstieg des Taurinspiegels, ausser bei männlichen Mäusen und Männern in einer der Querschnittsstudien.

Den Anstieg des Taurins stellen die Forschenden bei den Versuchspersonen ab etwa 60 Jahren fest. «Aufgrund dieser Ergebnisse kommen wir zum Schluss, dass niedrige Taurinkonzentrationen im Blut kein Biomarker für das Altern sind», sagt Fernandez.

Zurück zu den Basics

Möglicherweise ist Taurin weniger ein Biomarker für das Altern, sondern eher ein Biomarker für bestimmte Krankheiten. Doch selbst solche Zusammenhänge seien nicht widerspruchsfrei: «Bei Diabetikern oder fettleibigen Patientinnen zum Beispiel sinkt der Taurinspiegel im Vergleich zu Kontrollgruppen, bei Patienten mit schwerer Fettleibigkeit hingegen kommt es zu einem Anstieg», führt die Forscherin aus.

Auch bei Krebs würden sich die Taurinkonzentrationen je nach Art der Krebserkrankung unterscheiden: «Bei Leukämie zum Beispiel steigen sie. Bei Brustkrebs oder Schilddrüsenkrebs hingegen nimmt das Taurin im Blut ab.»

Das meiste, was Taurin im Körper bewirke, habe man schlicht noch nicht verstanden, sagt Fernandez. Man müsse also die Basics studieren.

Klinische Studie mit Ergänzungsmittel

Derweil verfolgt Vijay Yadav, der Autor der ersten Science-Studie, nun ganz konkrete Ziele: Er führt zurzeit eine kontrollierte Studie an Menschen mit Taurin als Anti-Aging-Mittel durch. Ergebnisse erwartet der Forscher Ende 2025.

Es werde sich hoffentlich weisen, sagt er, ob die Taurin-Supplementierung die Fitness verbessern und den Alterungsprozess doch verlangsamen könne. Der Traum vom langen Leben und vielleicht auch guten Geschäften – er ist noch nicht ausgeträumt.

Wissenschaftsmagazin, 7.6.2025, 12:40 Uhr

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