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Neuer Bericht der WHO Wegen Impfskepsis – Masern kehren zurück

Der grosse Erfolg seit der Jahrtausendwende im Kampf gegen Masern steht auf der Kippe: Die Infektionszahlen steigen wieder an. 2024 haben sich laut einem neuen Bericht der WHO 11 Millionen Menschen mit Masern angesteckt. 95'000 sind daran gestorben.

Masern galten lange als harmlose Kinderkrankheit. Doch das hochansteckende Virus kann tödlich sein und schwerwiegende Komplikationen verursachen. «Jedes fünfte infizierte Kind muss hospitalisiert werden», erklärte WHO-Impfdirektorin Kate O'Brien vor den Medien. «Masern können zum Beispiel Hirninfektionen verursachen, die noch Jahre nach der Infektion zu bleibenden Hirnschäden, Taubheit und Blindheit führen können.» Das gelte besonders für kleine Kinder, schwangere Frauen und Immungeschwächte.

Schwächung des Immunsystems

Masern lösen zudem eine Art «Immun-Amnesie» aus: Die Viren löschen unser Immungedächtnis fast komplett aus. Betroffene Kinder müssen ihr erworbenes Abwehrsystem wieder von Grund auf neu aufbauen, sie sind somit wieder neu empfänglich für eine Vielzahl von Krankheitserregern.

Frau mit Brille vor blauem Vorhang mit WHO-Logo
Legende: WHO-Impf-Direktorin Kate O'Brien warnt vor den unterschätzten Folgen einer Maserninfektion. Keystone / MARTIAL TREZZINI

Zurzeit sind gemäss WHO rund 30 Millionen Kinder ungenügend vor Masern geschützt. Drei Viertel dieser Kinder leben in Ländern Afrikas oder im Nahen Osten. «Am meisten gefährdet sind Kinder in instabilen Krisenregionen», sagt Kate O’Brien.

Gründe für Masern-Rückkehr

Zum Beispiel der seit zwei Jahren kriegsgebeutelte Gazastreifen: Jedes fünfte Kind unter fünf Jahren ist während des Krieges nie oder nur unzureichend geimpft worden. Die WHO hat deshalb Anfang November eine umfangreiche Impfkampagne im Gazastreifen gestartet.

Die wichtigsten Zahlen des WHO-Berichts

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  • 59 Länder waren 2024 von langanhaltenden Masernausbrüchen betroffen. Das sind dreimal so viele wie im Jahr 2021.
  • Ein Viertel dieser grossen Ausbrüche erfolgte in Ländern, die zuvor als masernfrei gegolten hatten, darunter Kanada und mehrere Länder Südamerikas.
  • Nur 84 Prozent aller Kinder waren im weltweiten Schnitt einmal gegen Masern geimpft; gar nur 76 Prozent erhielten die zweite Dosis und damit einen vollständigen Impfschutz.
  • Das Ziel der WHO ist, in jedem Land eine Impfrate von mindestens 95 Prozent – also vollständigen Herdenschutz der Bevölkerung – zu erreichen. Davon ist die Welt weit entfernt.
  • In der Schweiz stammen die jüngsten Daten des BAG zu Masern aus dem Jahr 2023. Demnach waren 95 Prozent der Kinder im Alter von 12 bis 23 Monaten einmal gegen Masern geimpft, für die zweite Dosis lag der Wert bei 91 Prozent. Bei den Achtjährigen waren 94 Prozent zweimal gegen Masern geimpft. Eine nationale Durchimpfungsrate von 95 Prozent mit zwei Dosen wurde bislang nicht durchgehend erreicht.
  • Das Masernvirus zählt zu den ansteckendsten Viren überhaupt: Eine infizierte Person kann bis zu 18 andere Personen anstecken.

Quelle: Weekly Epidemiological Record, 2025, vol. 100, 48

Ein anderer Grund, weshalb sich Masernausbrüche häufen, sind die Spätfolgen von Covid-19. Nach dem Impf-Effort während der Pandemie ist die Infrastruktur für die übrigen Impfprogramme mancherorts zusammengebrochen. Dort fehlt es heute an finanziellen Mitteln, an Gesundheitspersonal und an der Logistik, um Routine-Impfungen so durchzuführen wie vor der Pandemie.

Schliesslich spielten auch Falschinformationen oder gar gezielte Desinformationen zum Impfen eine gewichtige Rolle: «Stimmen, die falsche Informationen verbreiten, gibt es schon so lange, wie es Impfstoffe gibt», sagt die WHO-Direktorin. «Neu sind jedoch das Ausmass und die Geschwindigkeit, in denen diese Informationen vor allem über soziale Medien verbreitet werden.»

Die Rolle der USA

Zum Einfluss der USA bei diesem Thema hält sich die WHO-Impfdirektorin bedeckt. Auf die Frage, ob sie besorgt sei angesichts wiederholter Masernausbrüche und der wachsenden Impfskepsis in den USA, sagt sie lapidar: «Die WHO sorgt sich um jedes Land, das einmal masernfrei gewesen ist und jetzt wieder zurückfällt.»

Masernausbrüche deuten darauf hin, dass es auch bei anderen Infektionskrankheiten Impflücken gibt, etwa bei Diphtherie, Keuchhusten oder Polio.
Autor: Kate O'Brien WHO-Impf-Direktorin

Weniger diplomatisch äussern sich WHO-unabhängige Stimmen wie etwa der Infektiologe Jan Fehr von der Universität Zürich: «Die offen bekundete Impfskepsis der amerikanischen Regierung ist hochproblematisch», sagt er. Es werde ein Narrativ verbreitet, das weit über die USA hinaus in andere Länder ausstrahle. «Dadurch wird Impfskepsis salonfähig, und manche Regierungen fühlen sich vielleicht verleitet, Impfprogramme nicht mehr wirklich zu unterstützen», so Jan Fehr.

Diese Entwicklung will die WHO unter allen Umständen verhindern. Masernausbrüche seien wie ein Feueralarm, sagt WHO-Impfdirektorin Kate O'Brien: «Sie deuten darauf hin, dass es auch bei anderen Infektionskrankheiten Impflücken gibt, etwa bei Diphtherie, Keuchhusten oder Polio.»

Und leider höre man vielerorts auf der Welt die Alarmglocken schon läuten.

SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 29.11.2025, 12:30 Uhr

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