Würden Sie eine Schweineniere nehmen? Nein? Für den 67-jährigen Tim Andrews aus den USA war das die einzige Option am Leben zu bleiben. Seit einem halben Jahr lebt er nun bereits mit der neuen Niere und freut sich, seine Enkelkinder wieder sehen zu können.
Verglichen mit einer menschlichen Spenderniere ist ein halbes Jahr noch nichts – im Schnitt beträgt die Lebensdauer menschlicher Spenderorgane 15 Jahre. Doch mit einem tierischen Organ sind diese sechs Monate ein Meilenstein.
«Dass das Organ nicht nach ein paar Wochen zerstört wurde, ist ein Erfolg», sagt Léo Bühler. Der Chirurg ist Professor an der Universität Freiburg und forscht seit 25 Jahren zur Transplantation von tierischen Organen auf den Menschen, genannt Xenotransplantation. Er erinnert sich an die Anfänge dieser Forschung in den 1990er Jahren. Damals dauern Experimente jeweils nur kurz. In Primaten setzen die Forschenden artfremden Organe ein. Innerhalb von wenigen Minuten werden die zerstört, von Antikörpern und anderen Abstossungsreaktionen des Immunsystems.
Genschere essenziell
So gilt es lange als utopisch, dass man die Xenotransplantation jemals bei Menschen anwendet. Vor ein paar Jahren aber nimmt sie plötzlich wieder Fahrt auf. Entscheidend für die jüngsten Fortschritte ist die Genschere CRISPER. Jene Gentech-Methode also, mit der man besonders präzise in die Erbsubstanz eingreifen kann. Und die Schweineorgane unter anderem menschenähnlicher macht.
Schon jetzt gibt es Schweine mit fast 70 genetischen Änderungen. Perfekt und fertig sei das damit aber noch nicht, sagt Bühler. Zukünftig will man die genetischen Veränderungen dahin lenken, dass die Tiere ihre Mutationen an ihren Nachwuchs weitervererben. Manche Zentren tun das bereits, indem sie klonierte Tiere weiter züchten. Und das Erbgut nicht jedes Mal aufs Neue verändern müssen. Das kommt nun mehr und mehr.
Weitere Nieren-Transplantationen geplant
Auch weitere klinische Versuche mit Nieren sind in den nächsten zwei, drei Jahren geplant. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat zwei amerikanischen Unternehmen mehrere Nierentransplantationen bewilligt.
Die USA sind das Land, das bei den bisherigen Meilensteinen der Xenotransplantation die Nase vorn hatte. Doch auch China feiert mittlerweile Erfolge: Viel Aufmerksamkeit bekam vor kurzem ein Forschungsteam, das eine Schweinelunge in einen hirntoten Menschen transplantierte.
Und im März dieses Jahres bekam eine Patientin in China ebenfalls eine Schweineniere – mit der sie, wie Tim Andrews in den USA, seit einem halben Jahr lebt. «Auch in China werden in den nächsten zwei Jahren vermutlich mehrere Nieren transplantiert, vielleicht auch Lebern.»
Bis die Xenotransplantation Routine wird, dürften aber noch sicherlich zehn Jahre vergehen, meint Léo Bühler. Die genetischen Mutationen müssen noch verbessert werden und man hofft auf neue Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken. Möglich sei es aber, wenn die klügsten Köpfe aus der ganzen Welt zusammenarbeiten und so das Feld voranbringen. Zum Beispiel diese Woche in Genf, wo die Internationale Xenotransplantations-Konferenz zusammenkommt, die Bühler präsidiert. Damit die Xenotransplantation eine Option wird, nicht für einzelne, sondern für viele.