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Stressfaktor Schenken Warum Schenken glücklich macht – und uns trotzdem stresst

Der Schal liegt schon verpackt bereit: weich, buttergelb, sorgfältig ausgesucht. Und trotzdem stellt sich kurz vor dem Verschenken diese eine Frage: Passt er wirklich zu Barbara?

Weihnachten ist genau der Moment, in dem Schenken zur kleinen emotionalen Prüfung wird – und trotzdem tun wir es Jahr für Jahr wieder. Warum der ganze Stress?

«Weil schenken nie neutral ist», erklärt Sozialpsychologe Johannes Ullrich. «Allein die Tatsache, dass ich jemandem etwas schenke, sagt: Du gehörst zu meinem Kreis.» Noch bevor es um den Inhalt gehe, werde Beziehung markiert. Genau das macht Geschenke so heikel – und so bedeutungsvoll.

Helper's High und Dopamin

Warum fühlt sich Schenken gleichzeitig gut und stressig an? Weil es direkt auf unser Belohnungssystem wirkt. Studien zeigen, dass beim Schenken die Hirnregionen aktiviert werden, die auch bei sozialer Anerkennung oder Erfolg anspringen. Botenstoffe wie Dopamin sorgen dafür, dass wir das Schenken als positiv erleben – oft sogar stärker als das Beschenktwerden.

Typologie des Schenkens

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Die Psychologie kennt keine festen Schubladen – aber typische Motive, die sich beim Schenken zeigen:

  • Beziehungs-Pflegende
    Schenken, um Nähe zu zeigen. Sie achten stark darauf, was zur anderen Person passt.
    Hohe Zufriedenheit, weil Bindung im Fokus steht.
  • Sicherheits-Schenkende
    Gutscheine, Geld, Bestseller. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Angst, falsch zu liegen.
    Geringes Risiko, aber weniger emotionale Tiefe.
  • Selbstdarsteller:innen
    Das Geschenk soll auch etwas über sie selbst erzählen: Kreativität, Geschmack, Originalität.
    → Kann beeindrucken – oder am Bedürfnis der anderen vorbeigehen.
  • Erzieherische Schenkende
    Schenken mit Botschaft: Fitnessabo, Ratgeber, «gut gemeinte» Hinweise.
    → Oft als Kritik gelesen, selten als Nähe.

Die Forschung zeigt: Am glücklichsten sind die, die Beziehung verschenken – nicht sich selbst.

In der Forschung spricht man vom sogenannten Helper’s High: Menschen berichten nach dem Verschenken von Geld oder Zeit über mehr Zufriedenheit als diejenigen, die dieselben Ressourcen für sich behalten. Das Spannende: Der Effekt tritt kulturübergreifend und unabhängig vom Einkommen ein. Wir fühlen uns gut, weil wir jemandem etwas Gutes getan haben. Aber das Helper's High ist fragil. «Er funktioniert nur, wenn das Geschenk als ehrlich und passend erlebt wird», so Ullrich.

Missverständnis auf Beziehungsebene

Genau hier entsteht auch der Druck. «Ein Geschenk soll zeigen: Ich kenne dich», so Ullrich. «Und daran kann man scheitern.» Je enger die Beziehung, desto höher die Erwartungen. Ein Flop-Geschenk fühlt sich dann nicht einfach wie ein unpraktischer Kauf an, sondern wie ein Missverständnis auf Beziehungsebene.

Das erklärt auch, warum Gutscheine und Geldgeschenke so beliebt sind. In Umfragen gehören sie seit Jahren zu den häufigsten Weihnachtsgeschenken in der Schweiz. Psychologisch sind sie eine Sicherheitsstrategie: Sie minimieren das Risiko, etwas Falsches zu signalisieren. Gleichzeitig bleiben sie oft bewusst vage. «Ein Gutschein sagt: Ich will dir nichts aufzwingen», so Ullrich. «Aber auch: Ich halte etwas Abstand.»

Der Schal als selbstgemachtes Risiko

Noch persönlicher – und riskanter – sind selbstgemachte Geschenke. Sie habe zwar einen guten Ruf, tauchen in Ranglisten der beliebtesten Geschenke interessanterweise aber kaum auf. Der Grund ist banal: Selbstgemachtes ist nicht umtauschbar. «Kommunikation kann auch schiefgehen», sagt Ullrich. «Beim Schenken passiert das öfter, als wir denken.» Der berühmte kratzige Wollschal ist deshalb nicht nur ein Klischee, sondern ein reales Risiko.

Ein gutes Geschenk sagt nicht: Schau, was ich gekauft habe. Sondern: Ich habe dich gesehen.
Autor: Johannes Ullrich Sozialpsychologe

Sie wollen ins Schwarze treffen? Dann sollten Sie innehalten: Nicht der Preis entscheidet, sondern die Passung. Studien zeigen, dass Geschenke, die Interessen und Identität der beschenkten Person treffen, langfristig mehr Freude auslösen als teure, aber unpersönliche Präsente. Besonders stark wirken Erlebnisse – also gemeinsame Zeit –, weil sie Erinnerung, Beziehung und Emotion verbinden.

Vielleicht ist das der Grund, warum Schenken trotz allem Stress funktioniert. Es ist kein perfektes System. Aber eines, das Nähe schafft. Oder, wie Ullrich es formuliert: «Ein gutes Geschenk sagt nicht: Schau, was ich gekauft habe. Sondern: Ich habe dich gesehen.»

Genau darum geht's doch an Weihnachten – selbst dann, wenn der Schal am Ende doch noch umgetauscht wird.

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Radio SRF 3, 24.12.2025, 06:40 Uhr

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