Fahnen, Fangesänge, Choreografien. Ob leidenschaftliche Ultras oder ruhigere Zuschauer – wöchentlich ziehen zahlreiche Fangemeinschaften in die Stadien, um ihren Verein zu unterstützen. Eines ist dabei klar: Fussball ist weit mehr als nur eine Sportart und bewegt Massen. Der Ball lenkt Emotionen. Doch was passiert in den Gehirnen der Fans während eines Spiels?
Fussballfans im Tomografen
Genau dieser Frage ist Dr. Francisco Zamorano der Universidad San Sebastián, Chile, nachgegangen. Er untersuchte männliche Fussballfans zweier rivalisierender Vereine mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRI).
Die 61 Teilnehmer im Alter von 20 bis 45 Jahren wurden anhand der «Fussball-Fanatismus-Skala» in drei Kategorien eingeteilt: Zuschauer (38), Fans (19) und Fanatiker (4).
Im Scanner wurden den Probanden diverse Tor-Szenen ihres Lieblingsvereins gezeigt – mal freuten sie sich über Treffer gegen den Erzfeind, mal litten sie bei Gegentoren.
Auch Tor-Sequenzen gegen neutrale Teams wurden gezeigt. Der Vergleich der neuronalen Reaktionen zeigt: Bei Rivalitäts-Szenen laufen die Gehirne auf Hochtouren.
Wenn das Gehirn mitjubelt
Bei einem Tor für die eigene Mannschaft gegen den Erzrivalen wird das Belohnungssystem massiv aktiviert. Das Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet und die Fans spüren eine grosse Euphorie.
Dieses berauschende Gefühl und somit auch das zugrundeliegende Dopamin können süchtig machen. Das Glückshormon wird bei vielen weiteren Aktivitäten ausgeschüttet, beispielsweise beim Essen, Liebe machen oder beim Konsum gewisser Drogen. Sport-Fanatismus gehört in dieselbe Kategorie und kann folglich auch süchtig machen.
Die Forschenden haben noch einen weiteren Aspekt gefunden. Auch ein Areal im vorderen Teil des Gehirns zeigte erhöhte Aktivität, der sogenannte ventrale präfrontale Kortex. Dieser steht im Zusammenhang mit Gruppenzugehörigkeit. Somit entsteht unter den Fans nach und nach eine gemeinsame Identität.
Wenn die Kontrolle versagt
Zurück im Scanner: Bei einem Gegentor durch den Erzfeind ist das Gehirn deutlich anders aktiviert. Der sogenannte dorsale anteriore cinguläre Kortex – ein Gehirnareal, zuständig für kognitive Kontrolle – wird in seiner Aktivität gehemmt. Anders gesagt: Die Fähigkeit, Gedanken, Emotionen und Handlungen gezielt zu steuern, wird geschwächt.
Dieser Effekt ist am stärksten bei den Fanatikern und erklärt auch, warum sonst rationale Menschen bei Fussballspielen plötzlich ausrasten können. Dies könnte auch die erhöhte Aggressivitätsbereitschaft zwischen Angehörigen von Erzrivalen erklären.
Die Forschenden betonen, dass ihre Ergebnisse weit über den Sport hinausreichen. Überall dort, wo starke Gruppenzugehörigkeit wirkt – etwa in der Politik oder in religiösen Gemeinschaften – könnten ähnliche Mechanismen greifen.
Weibliche Fans waren übrigens nicht Teil der Studie. Somit müssen geschlechterspezifische Unterschiede noch untersucht werden.