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Begriffsklärung Ist Charlie Kirk ein Märtyrer – oder alles nur eine moderne Mär?

Seit fast zwei Wochen ist sie praktisch Dauerthema: die Ermordung von Charlie Kirk. Der rechtskonservative Podcaster und Autor wurde am 10. September bei einem Attentat getötet. Am Wochenende haben zehntausende Menschen an einer Trauerfeier für Charlie Kirk teilgenommen. Viele von Ihnen sehen ihn als «Märtyrer». Ist diese Definition passend? Der Religionswissenschaftler Baldassare Scolari ordnet ein.

Baldassare Scolari

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Baldassare Scolari hat Religionswissenschaft studiert und unterrichtet unter anderem an der Hochschule der Künste in Bern und an der Universität Basel.

SRF: Passt Charlie Kirk in die Definition eines «Märtyrers»?

Baldassare Scolari: Um diese Frage zu beantworten, muss ich vorwegnehmen, dass das Wort «Märtyrer» nicht so sehr ein Begriff ist, sondern eine Figur. Ein Begriff ist etwas, das man verwendet, um empirische oder logische Zusammenhänge zu beschreiben, während das Wort «Märtyrer» eine Figur innerhalb einer Erzählung ist.

Die Frage, ob Charlie Kirk insofern als Märtyrerfigur taugt, kann ich nur bejahen. Und zwar aus drei Gründen: Er ist öffentlich ermordet worden, er hat bestimmte Wertevorstellungen öffentlich verkündet und er ist eine Identifikationsfigur für eine oder mehrere soziale Gruppen.

In der Geschichte wurden verschiedene Menschen als Märtyrer bezeichnet, zum Beispiel der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King oder der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Wie hat sich die Verwendung von «Märtyrer» historisch gewandelt?

Im Kontext des antiken Griechenlands bedeutet das Wort einfach «Zeuge» (eines Prozesses). Im Kontext des Christentums wird der Märtyrer dann derjenige, der durch den Akt des Sterbens die Wahrheit der Verkündung Christi bezeugt. Also durch das Sterben wird etwas bekundet. Und zwar: die Wahrheit der Evangelien; die Wahrheit der guten Botschaft, der Verkündung Jesu.

Die Frage ist: Wer konstruiert Märtyrer zu welchem Zweck?

Als dann im Laufe der Institutionalisierung das Christentum zur imperialen Ideologie und schliesslich zur Staatsideologie wurde, ist die Figur des Kreuzfahrers entstanden, des Soldat Christi. Dieser Soldat stirbt im Kampf gegen die Ungläubigen, um die Wahrheit der Verkündigung Jesu hervorzubringen. Erst mit der Entstehung des modernen Nationalstaates kommt die Figur des Märtyrers auf, der für eine Nation stirbt und für die Wertvorstellungen, die diese Nation vertritt.

Was wird in den USA bezweckt, dass man Charlie Kirk als Märtyrer bezeichnet?

In seiner Community, in der MAGA-Bewegung, in der «White Supremacy»-Bewegung und von einigen Vertretern der evangelikalen Bewegung in den USA wird er als Märtyrer verstanden, der für eine bestimmte Wahrheit gestorben ist. Und zwar diejenige, die er als öffentliche Figur immer bekundet hat.

Die Frage, ob jemand ein Märtyrer ist oder nicht, ist nicht die richtige Frage. Sondern die Frage ist: Wer konstruiert Märtyrer zu welchem Zweck? Im Kontext der politischen Situation in den USA kann man drei Sachen hervorheben. In dem Moment, in dem jemand als Märtyrer dargestellt wird, wird gesagt: Das, was er vertreten hat, das ist die Wahrheit. Zudem ist die Märtyrerfigur immer ein symbolischer Körper, jemand, mit dem man sich identifizieren kann. Und: Die Märtyrerfigur ist zumindest im Kontext des Diskurses um Charlie Kirk auch mit der Vorstellung der Apokalypse verbunden. Mit der Vorstellung, dass es einen Kampf gibt zwischen dem Guten und dem Bösen.

Charlie Kirk ist in dieser ideologischen Narration natürlich der Vertreter des Guten. Derjenige, der ihn getötet hat, wird als Vertreter einer Gemeinschaft des Bösen verstanden.

Das Gespräch führte Bodo Frick.

Diskutieren Sie mit:

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.9.2025, 17:10 Uhr ; 

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