Der Tod des Influencers Charlie Kirk hat in den USA eine hitzige Debatte über Meinungsfreiheit ausgelöst. Diverse Menschen verloren nach hämischen und sarkastischen Aussagen auf den sozialen Medien ihren Job. Die US-Regierung rief das Netz gar dazu auf, personenbezogene Informationen öffentlich zu machen, also «Doxing» zu betreiben. Das erscheine mit Blick auf die Meinungsäusserungsfreiheit in den USA nicht verhältnismässig, sagt Rechtsexpertin Vanessa Rüegger von der Universität Genf.
SRF News: Wie steht es um die freie Meinungsäusserung in den USA?
Vanessa Rüegger: Die Meinungsäusserungsfreiheit hat in den USA einen sehr hohen Stellenwert. Sie ist im First Amendment der Verfassung breit und stark verankert. Sämtliche Äusserungen sind geschützt, selbst wenn sie noch so schockierend sind und als problematisch wahrgenommen werden.
Wo sind die Grenzen?
Die Meinungsäusserungsfreiheit ist auch in den USA nicht absolut. Die Grenzen verlaufen dort, wo ganz konkret zu unmittelbarer Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe aufgerufen oder aufgestachelt wird. Aber auch wenn unmittelbare Drohungen ausgesprochen werden, jemandem oder etwas einen Schaden zuzufügen.
Selbstverständlich müsste hier der Einzelfall ganz genau untersucht werden, um das abschliessend beurteilen zu können.
Was, wenn sich jemand im Nachhinein über die Ermordung von Kirk freut?
Eine solche Aussage könnte im gegebenen Kontext auch unter der amerikanischen Meinungsäusserungsfreiheit als problematisch beurteilt werden. Selbstverständlich müsste hier der Einzelfall ganz genau untersucht werden, um das abschliessend beurteilen zu können.
Einige Personen wurden wegen Äusserungen zu Kirk entlassen. Ist das legal?
In den USA sind die Arbeitnehmenden in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen sehr viel weniger stark geschützt als etwa in der Schweiz. So kann der Arbeitgeber Angestellte aufgrund von Äusserungen disziplinieren oder sich von ihnen trennen. Auch staatliche Angestellte sind in ihrer Meinungsäusserungsfreiheit geschützt. Aber auch im öffentlich-rechtlichen Kontext kann der Staat eingreifen, wenn er davon überzeugt ist, dass Äusserungen seiner Angestellten nicht mit deren Funktion zu vereinbaren sind.
Welche Verantwortung haben staatliche Stellen?
Bei der Meinungsäusserungsfreiheit haben Staaten eine Schutzpflicht. Sie müssen sicherstellen, dass Meinungen frei geäussert werden können, aber gleichzeitig andere Personen durch solche Meinungsäusserungen nicht in ihren Rechten verletzt werden. Entsprechend müssen sie sorgfältig abwägen. Dort, wo sie zum Schutz eingreifen müssen, geschieht das normalerweise über strafrechtliche Massnahmen oder – in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitskontext – über disziplinierende Massnahmen.
Mit dem Doxing wird in der Regel massiv in die Persönlichkeitsrechte von Personen eingegriffen.
Einzelne Mitglieder der US-Regierung haben zum «Doxing» aufgerufen. Darf der Staat das?
Ein solches Vorgehen erscheint auf den ersten Blick auf jeden Fall als nicht verhältnismässig als staatliche Massnahme. Denn mit dem Doxing wird in der Regel massiv in die Persönlichkeitsrechte von Personen eingegriffen.
Was passiert mit der Meinungsäusserungsfreiheit in den USA?
Die Meinungsäusserungsfreiheit wird in den USA seit jeher heftig diskutiert. Gerade im aufgeladenen politischen Kontext wurde schon immer über die Grenzen des Zulässigen gestritten. Wenn nun eine Regierung zu Praktiken wie dem Doxing aufruft, die offensichtlich als unverhältnismässig erscheinen, kommt der Verdacht auf, dass hier ein tragisches Ereignis für politische Zwecke instrumentalisiert wird.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.