Mit welchem Tier würde ich gern in den Urlaub fahren? Zuerst dachte ich an einen Hund: treu, verspielt, unkompliziert. Dann an eine Katze, die bekannt ist für ihre Unabhängigkeit, oder an ein Pferd, mit dem ich der Küste der Nordsee entlang jagen könnte. Doch leider habe ich weder Hund noch Katze, und reiten kann ich auch nicht. Meine Reisebegleitung ist deshalb anders geartet. Sie hat weder Fell noch Flügel noch Flossen, und ist doch kräftiger als jedes andere Wesen: Georg Danzers «wundersames Tier» namens Freiheit.
Im Lied des deutschen Liedermachers von 1979 geht ein Mann in den Zoo und steuert auf einen Käfig zu, vor dem sich eine Menschentraube gebildet hat. «Nicht Füttern» steht auf einem grossen Schild, auch «auch nicht reizen, da sehr wild». Der Mann will wissen, welches Tier hinter den Gitterstäben haust. «Die Freiheit», bescheidet ihm der Zoowärter, die so selten geworden sei, dass sie im Käfig zur Schau gestellt werde.
Die Freiheit ermöglicht uns, ‹unser eigenes Inneres› als ‹weissen Fleck auf der Landkarte› zu entdecken.
Als der Mann sich beschwert, keines der seltenen Exemplare zu erspähen, entgegnet der Wärter, so sei das eben mit diesem «wundersamen Tier»: Man sperre es ein und augenblicklich sei es weg. Danzer resümiert: Die Menschen hätten so grosse Angst vor der Freiheit, dass sie sie einsperrten. «Doch hinter Gitterstäben geht sie ein, denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein.»
Aufs Erste gesehen, verheissen Ferien für die meisten viel Freiheit: Tun und lassen, was man möchte, kein nervtötender Wecker, keine To-dos. Schliesslich schweifen die meisten nicht nur geografisch in die Ferne, sondern vor allem fort vom Alltag, von Verpflichtungen, Erwartungen. In der Freiheit bestünde das wahre Ziel dieser Bewegung: mit festgezurrten Gewohnheiten zu brechen.
Dann ermöglicht es uns die Freiheit auch, «unser eigenes Inneres» als «weissen Fleck auf der Landkarte» zu entdecken, wie Henry David Thoreau in seinem Buch «Walden» schreibt, das zu einer Art Aussteiger-Fibel geworden ist. Der Philosoph zog sich im 19. Jahrhundert in eine Hütte am «Walden Pond» in der Bucht von San Francisco zurück, um sich einer radikalen Frage zu stellen: Wie will ich wirklich leben?
Die wahre Herausforderung besteht laut Thoreau nicht darin, extreme Bergtouren zu wagen oder den Dschungel zu durchkämmen, sondern ein «Kolumbus des eigenen Innern» zu sein.
Meine Reisebegleiterin wird mich lehren, Umwege zuzulassen, zwecklos zu verweilen und das wahre Abenteuer zu wagen.
Doch wie oft landen wir im perfekten Resort mit schnellem WLAN, treten die durchgetaktete Reise an oder haben die Ehekrise miteingepackt und merken: Das wundersame Freiheitstier haben wir zuhause vergessen. Wir wollten frei reisen, sind aber gekettet an das Gewohnte wie eh und je. Oder die Freiheit entwischt uns während unserer Urlaubstage, weil wir sie in den Käfig unserer eigenen Angst sperren, weil wir fürchten, was passieren würde, wenn wir wirklich wagten, gänzlich frei zu atmen und zu leben.
Deshalb habe ich meinem Freiheitstier frühzeitig ein Zugticket inklusive Sitzplatz gebucht. Die Reise mit ihm wird zwar kein Spaziergang. Schliesslich ernährt sich mein Tier von meinem Mut, mich auf Neues einzulassen und festgefahrene Routinen zu durchbrechen. Nur in Freiheit kann die Freiheit schliesslich Freiheit sein. Dafür wird mich meine Reisebegleiterin lehren, Umwege zuzulassen, zwecklos zu verweilen und das wahre Abenteuer zu wagen. Und vielleicht wird sie mich hie und da auch daran erinnern, wer ich bin, wenn mir dabei niemand zusieht.