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Philosophieren unter Palmen Sind Faultiere die besseren Menschen?

Mit welchem Tier möchten Sie gerne Urlaub machen? Philosoph Yves Bossart findet: mit dem Faultier. Weil es uns zeigt, wie Slow Living geht – und nachhaltiges Food Delivery. Und weil Faultiere keine FOMO kennen. Blöd ist einzig der tödliche Gang zur Toilette.

Yves Bossart

Moderator und Philosoph

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Yves Bossart, geboren 1983, ist promovierter Philosoph und arbeitet als Redaktor und Moderator für die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie».

Einmal in der Woche wird es lebensgefährlich. Dann, wenn sie aufs Klo müssen. Dazu steigen Faultiere von ihren Bäumen hinunter. Schön langsam. Für hundert Meter brauchen sie eine halbe Stunde. Flüchten geht also schlecht, wenn Feinde auftauchen. Und kämpfen in Zeitlupe ist auch schwierig. Gegen einen Puma helfen auch die Krallen an den Fingern wenig. Für Faultiere bedeutet jeder Gang zur Toilette also eine Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit: Pooping on the Edge.

Faultier in Hängematte mit Cocktail am Strand.
Legende: Meister im Relaxen: Urlaub mit einem Faultier verspricht tiefenentspannt zu werden. Nur «flink mal Drinks holen» können sie nicht. KI: Microsoft Co-Pilot/SRF

Den restlichen Teil der Woche verbringen Faultiere friedlich auf ihren Bäumen und schlafen bis zu zwanzig Stunden pro Tag. Faultiere sind aber nicht faul, sondern Meister im Energiesparen. Ihr Stoffwechsel gehört zu den langsamsten der Tierwelt. Oft brauchen sie mehrere Wochen, um die nährstoffarmen Blätter der Bäume zu verdauen.

Faultiere sind nicht faul. Sie sind Meister im Energiesparen.

Ich hatte kürzlich das Vergnügen, ein Faultier dabei zu beobachten, wie es eine Strasse überquerte. Wir waren mit dem Auto in Costa Rica unterwegs. Auf einmal standen alle Autos still, die Menschen stiegen aus und liefen nach vorne. Auch wir. Und tatsächlich: Da schleppte sich ein Faultier mühsam über die Strasse, um auf die andere Seite zu kommen. Rundherum standen Menschen, um das Spektakel bildlich festzuhalten. Auch wir.

Faultier überquert eine Strasse in Costa Rica
Legende: Behäbig: Unter den Augen von Vertretern der menschlichen Spezies krallt sich ein Faultier über die Strasse – ganz smart entlang einer kontrastierenden Geschwindigkeitsreduktionsschwelle. SRF

Bisher hatte ich nur Faultiere auf Bäumen gesehen, wie sie schlafen, sich langsam von Ast zu Ast hangeln und mit ihrem Kopf, den sie um 330 Grad drehen können, nach Blättern suchen. Meist sah ich von unten nur ein Büschel Fell, in dem übrigens auch kleine Käfer leben und Grünalgen wachsen, was den Faultieren als Tarnung und als Nahrungsergänzung dient. Ihr Lebensmotto scheint also zu sein: Jage nicht, sondern lasse das Essen zu dir kommen. Food Delivery, aber nachhaltig.

Faultiere kennen keine FOMO.

Man soll Tiere nicht vermenschlichen, ich tue es aber trotzdem und antworte auf die Frage, welches Tier ich gerne in den Urlaub mitnehmen möchte: das Faultier. Denn die Tiere leben in vielfacher Hinsicht ein für uns Menschen vorbildhaftes Leben. Faultiere kennen keine FOMO. Sie leben genügsam, nachhaltig und resilient.

Junges Faultier in den Blättern
Legende: So langsam, dass sie Algen ansetzen: Das kann Herr oder Frau Faultier schon mal passieren – und dient obendrein der Tarnung im grünen Blätterdickicht. SRF

Seit 30 Millionen Jahren haben sie ihre Bedürfnisse an ihre Umgebung angepasst: Sie wollen das, was sie haben. Bei uns Menschen ist es umgekehrt: Wir wollen das, was wir nicht haben, so lange, bis unsere Welt kaputt ist und wir gar nichts mehr haben.

Slow Living ist der Ausweg aus der alltäglichen Entfremdung.

Faultiere müssen aufgrund des langsamen Stoffwechsels das tun, was für uns Menschen das Gebot der Stunde wäre: Slow Living. Ein achtsames, langsames Leben. Mit Pausen zur Regeneration. Nicht durch den Alltag hetzen, sondern den Dingen Zeit lassen. Denn jede Tätigkeit hat ihr eigenes Tempo – eine «Eigenzeit», wie alle Prozesse in der Natur, vom Wachsen einer Pflanze bis zur Kompostierung.

Oder wie Rituale: Wer eine japanische Teezeremonie beschleunigen möchte, der hat die Idee des Rituals nicht verstanden. Erst durch Langsamkeit treten wir in Beziehung zu unserer Umgebung. Resonanz entsteht. Auf einmal hat die Welt wieder etwas mit mir zu tun. Das Gefühl der Entfremdung verschwindet.

Darin besteht das Glücksversprechen des Faultier-Daseins. Ein Leben wie im Paradies. Wäre da nicht der wöchentliche Gang zur Toilette.

Mit welchem Tier fahren Sie in die Ferien?

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Mit Familie, Freunden oder lieber allein: Wir wissen meist genau, mit wem wir gerne Ferien verbringen – oder lieber nicht. Über tierische Begleiter machen wir uns weniger Gedanken. Welches Tier soll uns am besten in die Ferien begleiten? Dieser Frage geht die Sommerserie der «Sternstunde Philosophie» nach – tierisch philosophisch.

  • 4. Juli: Faultier
  • 7. Juli: Delfin
  • 11. Juli: Kater
  • 14. Juli: «Wundersames Tier» namens Freiheit
  • 18. Juli: 21 Eintagsfliegen
  • 21. Juli: Nicht mit dem Alphatier
  • 25. Juli: Oktopus

Radio SRF 1, Echo der Zeit, 30.6.2025, 18:00 Uhr

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