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SVP warnt vor hohen Kosten Wie teuer wird eine klimaneutrale Schweiz?

Die SVP stemmt sich als einzige grössere Partei gegen das Klimaschutz-Gesetz. Sie warnt vor den enormen Kosten, die diese Umstellung mit sich bringen würde. Fragt sich: wie hoch sind diese Kosten tatsächlich? Wie würde eine CO₂-freie Schweiz überhaupt aussehen?

Die klimaneutrale Schweiz hat für die SVP ein Preisschild. Und was für eins: Energie werde dreimal teurer, warnt Nein-Kampagnenleiter und SVP-Nationalrat Michael Graber: «Je nachdem kostet das bis zu 6600 Franken pro Kopf und Jahr.»

Die Zahlen seien nicht von der SVP. Das seien Szenarien, welche die EPFL Lausanne aufgestellt habe. Gemeint ist er: Professor Andreas Züttel, Leiter des Energieforschungslabors der EPFL und der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt EMPA.

Jedermann ist natürlich frei, aus unserer Arbeit das zu betonen, was er will, aber das ist nicht die Lösung, die wir in Zukunft anstreben.
Autor: Andreas Züttel Leiter Energieforschungslabor EPFL Lausanne und EMPA

6600 Franken pro Kopf und Jahr: Diese Zahl steht tatsächlich in seiner Studie. Nur seien das die Kosten für ein unrealistisches Szenario, sagt Züttel: «Jedermann ist frei, aus unserer Arbeit das zu betonen, was er will, aber das ist nicht die Lösung, die wir in Zukunft anstreben.»

Nur, wenn die Schweiz Öl und Gas durch synthetische Treibstoffe – zum Beispiel E-Fuels – ersetzen würde, käme es so teuer. Die Schweiz hat sich aber längst für einen anderen Weg entschieden: für Elektroautos und Wärmepumpen – also für eine Elektrifizierung von Verkehr und Heizungen. Da sei der richtige Weg, findet Andreas Züttel. Aber auch der koste mehr als heute.

«Auf dem Papier sind politische Mehrheiten dafür möglich»

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SRF News: Die Schweiz klimaneutral – das scheint also möglich, ohne die Energiepreise zu verdreifachen. Doch ist der Ausbau der Stromproduktion realistisch?

SRF-Bundeshausredaktor Dominik Meier: Auf dem Papier ja. Nächste Woche geht im Ständerat die Debatte über einen massiven Ausbau der Stromproduktion weiter, mit Einschränkungen beim Naturschutz, mit einfacheren Bewilligungsverfahren und zusätzlichem Fördergeld. Es geht da um sehr ehrgeizige Produktionsziele. Wenn das so käme, dann könnte das reichen für einen Umstieg von Öl und Gas auf Strom. Aber: Gegen fast jede konkrete Massnahme gibt es politischen Widerstand.

Das zeigt sich aktuell bei der Solarpflicht, oder?

Genau. Die Energiepolitiker des Ständerats haben sich in der vorberatenden Kommission Mitte Mai gegen eine Solarpflicht für alle Neubauten ausgesprochen. Aber in den Szenarien der Forscher müssten alle Dächer genutzt werden. Ein anderes Beispiel sind die Bewilligungsverfahren: Im Parlament haben sich bislang ironischerweise die Grünen gemeinsam mit der SVP gegen Vereinfachungen gestemmt für Solar- und Windparks in bestimmten Gebieten. Da gibt es also einige Hindernisse.

Liegen denn auch andere Varianten auf dem Tisch als der massive Ausbau von Sonnen- und Windenergie?

Ja, es gibt weitere Varianten:  Da wäre zum Beispiel die Option Atom. Dass die Schweiz also nicht aussteigt aus der Nutzung der Kernenergie, sondern sogar neue, kleinere AKW baut. Die Schwachstellen dieser Option kennen wir: die Kosten, Unklarheiten bei der Technologieentwicklung und die radioaktiven Abfälle. Viel diskutiert wird auch die Variante Wasserstoff:  Szenarien des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen etwa rechnen mit Wasserstoff als künftigem Energieträger. Die Schweiz würde demnach ökologisch hergestellten Wasserstoff importieren. Doch ob sich eine solche globale Wasserstoff-Wirtschaft wirklich entwickelt, ist noch offen. Es wäre also eine Wette auf die Zukunft – ohne Garantie.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Die Energie würde in diesem Szenario laut Züttels Studie rund 20 Prozent teurer als heute. Ins Geld gehe die Energiespeicherung. Laut dem Energieforscher braucht es Batteriespeicher in den Gebäuden und Grossspeicher mit einer Kapazität so gross wie 13 Mal das Pumpspeicherwerk Grande Dixence im Wallis.

Wenn wir die Transformation zu einer Netto-Null-Gesellschaft auf schlaue Art vollziehen, werden wir sogar Geld einsparen können.
Autor: Anthony Patt Professor für Klimaschutz ETH Zürich

Nur: Ob die Schweiz wirklich so viel Strom speichern muss, ist umstritten – auch unter ETH-Forschern. Anthony Patt ist Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich. Er simuliert mit gängigen wissenschaftlichen Modellen eine Schweiz ohne Öl und Gas und kommt auf einen kleineren Energie-Speicherbedarf.

Die Kosten für die Bevölkerung sind deshalb in fast all seinen Szenarien tiefer als heute: «Wenn wir die Transformation zu einer Netto-Null-Gesellschaft auf schlaue Art vollziehen, werden wir sogar Geld einsparen können.»

Solarpanels an einer Bahnstrecke.
Legende: Am 18. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über das Klimaschutzgesetz ab. Die Vorlage will eine Schweiz ohne Öl und Gas – eine klimaneutrale Schweiz. Keystone/Archiv/ CHRISTIAN BEUTLER

Statt viel Energie teuer zu speichern, könne die Schweiz im Winter Strom importieren, sagt Patt: Das funktioniere sogar, wenn die EU den Stromhandel aus politischen Gründen einschränke.

Energieversorgung im Winter – ein Problem?

Andreas Züttel sieht das pessimistischer: «Alle unsere Nachbarn werden zur gleichen Zeit Winter haben wie wir, und wenn wir nicht die einzigen sein werden, die auf erneuerbare Energie umstellen, dann werden wir generell im Winter einen Mangel an Energie haben.»

Im restlichen Europa gebe es viel mehr Windenergie. Deshalb werde in Europa insgesamt mehr erneuerbarer Strom im Winter hergestellt als im Sommer, sagt hingegen Anthony Patt. «Deshalb sehen wir kein Problem, im Winter zu importieren.»

Dachflächen reichen kaum für Sonnenstrom

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Uneinig sind sich die Forscher beim Import und somit beim Energiepreis. Doch wie wird die Schweiz ohne Öl, Gas und Atomenergie aussehen? Hier kommen die beiden Professoren auf eindrückliche Resultate: Die Schweiz muss enorm viel Solarstrom produzieren. «Es könnte gut sein, dass die Hausdächer in der Schweiz für die Menge an Solarstrom, die wir brauchen, nicht ausreichen», meint zum Beispiel Patt. Freistehende Solarstromanlagen müssten sehr wahrscheinlich gebaut werden.

Andreas Züttel kommt auf einen noch grösseren Bedarf an Sonnenstrom: «Wir bräuchten noch zusätzlich zu den Dächern rund 300 Quadratkilometer Photovoltaik-Fläche.» Das ist anderthalbmal der Neuenburgersee. Die nötige Solarfläche schrumpfe aber, wenn die Schweiz zusätzlich auch auf Windenergie setze. Der Öl- und Gasausstieg dürfte also Landschaften verändern.

Klar ist: In den Szenarien beider ETH-Forscher braucht es einen massiven Ausbau der Photovoltaik. Wohl nicht einmal alle geeigneten Dachflächen der Schweiz würden reichen. Doch müsse man immer auch über den Preis des Nichtstuns reden, sagt Patt: Es drohten enorme Klimaschäden. Ob diese vermieden werden könnten, hänge natürlich auch vom Verhalten der übrigen Länder ab. Andreas Züttel sagt: «Die fossilen Energieträger werden noch in diesem Jahrhundert zu Ende gehen. Wir haben keine andere Wahl, als auf erneuerbare Energie umzustellen. Deshalb müssen wir das auch schaffen.»

Echo der Zeit, 23.05.2023, 18:00 Uhr ; 

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