Gemäss dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) haben sich Seniorinnen und Senioren im Jahr 2023 42-mal häufiger das Leben genommen als Menschen anderer Altersgruppen. Und die Zahlen nehmen zu: In den letzten 25 Jahren hat sich der Anteil der über 85-Jährigen, die sich das Leben nehmen, vervierfacht. Bei den 65- bis 84-Jährigen hat sich dieser Anteil verdoppelt. Bei der jüngeren Bevölkerung hingegen ist die Selbstmordrate in den letzten zwei Jahrzehnten um etwa 30 Prozent gesunken.
Eine genauere Analyse zeigt, dass diese hohen Zahlen bei Senioren und Seniorinnen grösstenteils auf die häufige Inanspruchnahme der Sterbehilfe zurückzuführen sind. In den letzten 25 Jahren hat sie eine rasante Entwicklung erlebt. Je älter man wird, desto höher ist der Anteil der begleiteten Suizide. Bei den 65- bis 84-Jährigen waren 2023 80 Prozent der Suizide begleitet, bei den über 85-Jährigen 90 Prozent.
In der Fachwelt ist es umstritten, ob man assistierte Suizide mit nicht begleiteten in einen Zusammenhang stellen darf. Laut Pierre Vandel, Chefarzt am Universitätsspital Lausanne, «ist es möglich, sich für den begleiteten Suizid zu entscheiden, ohne suizidale Gedanken zu haben». Er erklärt jedoch, dass einige seiner Kollegen da keinen Unterschied machen.
Anders sehen das die Sterbehilfeorganisationen. «Bewusste Suizide unterscheiden sich von anderen», betont Jean-Jacques Bise, Co-Präsident von Exit in der Westschweiz.
Hören Sie das Bekenntnis eines Exit-Mitglieds (dt. Untertitel):
Die Zahlen von RTS deuten darauf hin, dass beide Suizidarten zusammenhängen könnten. Bei sehr alten Menschen kreuzen sich zu Beginn der 2010er-Jahre die statistischen Kurven der beiden Suizidarten – ein Hinweis darauf, dass ab dann eine Verlagerung von nicht begleiteten zu begleiteten Suiziden stattfand.
Exit bietet seinen Mitgliedern seit 1982 die Begleitung in den Tod an. Seit 2014 können diese auch Personen in Anspruch nehmen, die an Mehrfacherkrankungen ohne unmittelbare Lebensgefahr leiden – vorausgesetzt, sie sind voll urteilsfähig.
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«Wir helfen nicht Menschen, die lebensmüde sind», betont Jean-Jacques Bise von Exit. Ist es bei einer Depression möglich, Exit in Anspruch zu nehmen? Ja, betont Bise, aber wenn einer psychisch kranken Person beim Sterben geholfen werde, «dann wegen der Krankheit, nicht wegen der Depression».
Laut Pierre Vandel vom Universitätsspital Lausanne sind Depressionen zusammen mit sozialer Isolation die Hauptursachen für nicht begleitete Suizide bei älteren Menschen.
Unterschiede zwischen Geschlechtern
Was die Zahlen auch zeigen: Es gibt starke Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Bis zum Beginn der 2010er-Jahre nahmen sich Frauen deutlich weniger häufig das Leben als Männer. Seitdem steigt die Kurve der begleiteten Suizide auch bei den Frauen stark an. Seither beenden Frauen ihr Leben fast ausschliesslich auf diese Weise. Bei Männern hingegen gibt es immer noch einen vergleichsweise hohen Anteil von nicht begleiteten Suiziden.
«Männer drücken ihre Gefühle weniger aus als Frauen», erklärt der Psychiater Pierre Vandel. Darum sei es bei ihnen schwieriger, suizidale Gedanken zu erkennen und ihnen rechtzeitig zu helfen. Das erkläre die Tendenz von Männern, sich häufiger ohne Unterstützung das Leben zu nehmen.