22 europäische Staaten haben in einem Schreiben gefordert, die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens müsse von regierungsunabhängigen Organisationen oder von der Uno geleitet werden und nicht von Israel.
Die Staatschefs Frankreichs, Kanadas und Grossbritanniens erklärten, sie könnten angesichts der «skandalösen Aktionen» der israelischen Regierung nicht «die Arme verschränken» und stellten Handelsabkommen infrage.
Original-Interview von RTS mit Ignazio Cassis (dt. Untertitel)
Die Schweiz geht hier einen anderen Weg. «Wir verurteilen [die Behinderung der humanitären Hilfe] klar. Aber wir haben kein Recht, Israel die ganze Last aufzuerlegen», sagte Bundesrat Ignazio Cassis gestern Abend gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS).
«Vergessen wir nicht, dass es bereits einen Waffenstillstand gäbe, wenn die Hamas die Geiseln an Israel zurückgegeben hätte», führte Cassis weiter aus. «Man fragt sich, warum niemand darüber spricht. Das entschuldigt in keiner Weise Israels Verhalten. Aber es gibt immer zwei Parteien vor Ort. Die Hamas hätte sehr wohl die letzten 50 Geiseln freilassen können und wir hätten einen garantierten Waffenstillstand.»
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Diese Aussagen müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Israel zu Beginn des Jahres den Waffenstillstand, der die Freilassung aller Geiseln vorsah, gebrochen hat. Später hat die israelische Regierung den Gazastreifen von humanitärer Hilfe abgeschnitten.
Humanitäre Hilfe ist «eine Verpflichtung»
Cassis räumte ein, dass Israel seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. «Jeder Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht muss verurteilt werden», betonte er im Interview mit RTS. «Das tun wir seit Beginn. Es gab massive Verstösse sowohl von Seiten Israels als auch der Hamas. Wir haben unsere Bemühungen mit Israel verstärkt, um die Zulassung humanitärer Hilfe nach Gaza zu ermöglichen.»
Der Aussenminister erinnerte daran, dass «die Zulassung humanitärer Hilfe keine Option ist. Es ist eine Verpflichtung aller Parteien, und es gibt Verstösse auf beiden Seiten. Das ist Krieg in seiner schlimmsten Form».
Am Dienstag gab es erneut Berichte, wonach bei der Verteilung von Lebensmitteln im Süden des Gazastreifens mindestens 27 Menschen getötet wurden. Palästinensische Rettungskräfte beschuldigten die israelische Armee, das Feuer eröffnet zu haben. Israel bestätigt seinerseits, auf «Verdächtige» geschossen zu haben (siehe Box).
Cassis meinte, man könne nicht sagen, wer für diese Schüsse verantwortlich ist. «Vergessen wir nicht, dass jeder Krieg auch ein Informationskrieg ist. Es gab Schüsse. Wer hat es getan? Wer ist verantwortlich? Wir werden es nie wissen. Wir müssen trotz der Gewalt, die wir sehen, einen kühlen Kopf bewahren. Wir können weder der einen noch der anderen Seite glauben.»
Und weiter betonte der Aussenminister: «Man muss beide Seiten verurteilen, die keine humanitäre Hilfe nach Gaza zulassen.»