Zum Inhalt springen

Humanitäre Hilfe für Gaza «Ein Kilogramm Mehl kostet in Gaza derzeit 30 Franken»

Das UNO-Welternährungsprogramm (WFP) ist eine der zentralen humanitären Organisationen im Gazastreifen. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Versorgung der notleidenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Die Schweizerin Corinne Fleischer leitet den Einsatz vor Ort. Im Interview beschreibt sie, was jetzt nötig ist.

Corinne Fleischer

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Die Schweizerin Corinne Fleischer ist Leiterin des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) im Nahen Osten. Fleischer hat in Genf studiert und arbeitet seit 1999 für das Welternährungsprogramm. Sie war unter anderem in Syrien, Äthiopien, Bangkok und Sudan stationiert. Sie befindet sich zur Zeit in Israel.

SRF News: Derzeit erreichen 170 Lastwagen mit Hilfsgütern den Gazastreifen. Reicht das?

Corinne Fleischer: Nein. Das ist ein Anfang, aber längst nicht ausreichend. Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Unsere Lagerbestände sind vollständig erschöpft. Die Menschen sind komplett auf humanitäre Hilfe angewiesen. Auf den Märkten gibt es kaum mehr etwas – und das Wenige kostet ein Vermögen. Ein Kilo Mehl kostet 30 Franken! Wer soll sich das leisten können?

Wir sind überzeugt, dass die Hilfe zu den Menschen muss – und nicht die Menschen zu den Verteilzentren.

Israel hat eine neue Verteilstruktur eingeführt. Eine private, von den USA unterstützte Agentur übernimmt nun die Verteilung. Was halten Sie davon?

Wir kennen die Stiftung «Gaza Humanitarian Foundation» (GHF) kaum. Wir haben uns 14-mal mit israelischen und amerikanischen Behörden getroffen, um klarzumachen: Unser System funktioniert besser, weil es auf humanitären Mindest-Standards basiert. Die GHF hat Verteilzentren eingerichtet, aber wir sind überzeugt, dass Hilfe zu den Menschen muss – nicht umgekehrt. Unter Bombenbeschuss erreichen nur die Stärksten ein solches Verteilzentrum. Mütter mit Kleinkindern und alte Menschen bleiben zurück. Wir dagegen gehen direkt in die Gemeinden.

Angesichts des Ausmasses der Not ist jede Hilfe willkommen.

Israel streut mit dem privaten Verteilmechanismus Misstrauen gegen die UNO und andere offizielle Hilfsorganisationen. Kommen Sie jetzt unter Druck?

Wir lassen uns nicht davon abbringen, unsere Arbeit zu tun. Einige unserer Lastwagen erreichen Gaza. Wir verhandeln täglich mit den israelischen Behörden, um mehr Hilfe ins Land zu bringen. Wichtig ist: Unser System funktioniert. Die Stiftung GHF ergänzt unsere Arbeit – und angesichts des Ausmasses der Not ist jede Hilfe willkommen.

Wer steckt hinter der «Gaza Humanitarian Foundation»?

Box aufklappen Box zuklappen
Lastwagen mit offener Plane und beladenem Anhänger.
Legende: Reuters/ATEF SAFADI

Gesicherte Angaben, wer hinter der privaten Hilfsorganisation «Gaza Humanitarian Organisation» (GHF) steckt, gibt es keine. Die «New York Times» schreibt, die Stiftung sei von Geschäftsleuten mit Verbindungen zur israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu gegründet worden. Sicher ist: Die GHF ist seit Februar 2025 in Genf als Stiftung registriert. Zunächst wurde sie auch von Trumps US-Administration offensiv unterstützt, doch inzwischen scheint sich Washington eher etwas von der GHF zu distanzieren.

Kritik an der GHF kommt auch von UNO-Nothilfekoordinator Tom Fletcher: Er warnte vor neuen Vertreibungen im Gazastreifen, sollte der GHF-Plan verwirklicht werden. Denn dieser beschränke die Hilfe auf einen Teil des Gazastreifens und mache sie von politischen sowie militärischen Zielen abhängig. Hunger werde so zum Druckmittel.

Es gibt Berichte über Chaos bei der Verteilung. Wie erleben Sie das?

Die Menschen sind verzweifelt. Wenn ein Hilfslastwagen ankommt, stürzen sie sich darauf. Jeder versucht, etwas zu ergattern. Deshalb müssen wir jetzt grosse Mengen liefern, und zwar regelmässig. Nur so entsteht Vertrauen. Die Menschen müssen wissen: Heute kommt ein Lastwagen, und morgen kommt wieder einer. Dann lässt der Druck nach.

Über 500'000 Menschen leiden im Gazastreifen unter extremer Nahrungsmittelknappheit. Was bedeutet das konkret?

Die Menschen können nicht mehr. Eine Frau sagte uns, sie habe für ihre Familie eine Linsensuppe mit 16 Linsen gekocht. 16 Linsen! Das ist kein Essen – das ist Wasser mit Salz. Das ist ein Zustand, der nicht tragbar ist.

Ihre Teams arbeiten unter extremen Bedingungen. Wie gehen Sie damit um?

Unsere Mitarbeitenden werden bedroht, sie leben in Gefahr. Aber wir arbeiten nicht dort, wo es einfach ist. Wir sind da, wo es nicht einfach ist, wo wir gebraucht werden. Und wir bleiben.

Das Gespräch führte David Karasek.

Tagesgespräch, 28.5.2025, 13 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel