Die Politik des US-Präsidenten Donald Trump fordert Europa heraus, nicht nur wegen der Zölle, sondern auch wegen Trumps «autokratischer Machtvorstellung». Und die Europäische Union (EU) mache dabei keine gute Figur, findet Mario Monti, Ökonom, Senator und ehemaliger italienischer Ministerpräsident.
SRF News: Herr Monti, was war für Europa der bedeutendste Moment des neuen Trump-Kurses?
Mario Monti: Der Punkt grösster visueller Dramatik war meiner Meinung nach der Empfang auf dem roten Teppich, den Trump Putin im August in Alaska bereitete. Es war das Symbol der Annäherung zwischen zwei Persönlichkeiten mit einer autokratischen Machtvorstellung, neu für die USA, aber nicht für Russland. Dies, verbunden mit der Härte bei den Zöllen, hat Europa verunsichert. Es hat noch immer Mühe, eine angemessene Antwort zu finden.
Wie muss sich Europa in Verteidigungsfragen verhalten, jetzt da es sich nicht mehr blind auf die USA verlassen kann?
Europa muss damit beginnen, anzuerkennen, dass es jahrelang über seine Verhältnisse und abhängig von den USA gelebt hat, ohne die Kosten der Verteidigung zu berechnen. Jetzt braucht es Ressourcen für eine autonome Verteidigung, auch wenn das der öffentlichen Meinung widerstrebt.
Ausschnitte aus dem Originalinterview mit Mario Monti:
Hätten Sie das Handelsabkommen von Ende Juli zwischen den USA und der EU mit 15 Prozent Zöllen unterzeichnet?
Es ist leicht zu sagen, ich hätte es nicht unterzeichnet. Ich verstehe den Druck auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Aber mich beunruhigt, wie Trump dieses Abkommen sieht: Als ein erster Schritt, um der EU Souveränität zu entziehen, indem er mit weiteren Zöllen droht, wenn sie nicht tut, was er will.
Glauben Sie, dass es sich für europäische Führungskräfte politisch lohnt, einen Ansatz des Schmeichelns zu verfolgen?
Ich beneide die europäischen Führungskräfte in dieser Phase nicht. Aber ich glaube nicht, dass es sich lohnt. [...] sie haben auf politischer Ebene die amerikanische Forderung akzeptiert, dass jene globale Mindeststeuer von 15 Prozent, die mühsam im Rahmen der OECD verhandelt wurde, nicht auf amerikanische Unternehmen angewendet wird. Das ist gleichbedeutend mit dem Verzicht auf ein Stück Souveränität. Die EU ist dazu bereit, um den amerikanischen Verbündeten / Konkurrenten zu besänftigen. Das bedeutet zu akzeptieren, zur Kolonie zu werden.
Auch die Schweizer Regierung, die von 39-prozentigen Zöllen betroffen ist, scheint bereit zu sein, den USA Zugeständnisse zu machen. Besteht nicht die Gefahr, dass dies nur der Beginn weiterer Forderungen Trumps ist?
Das muss man unbedingt versuchen zu vermeiden. Ich hoffe, dass die Schweiz ihre guten Argumente geltend machen kann [...]. Aber wir müssen in grösseren Dimensionen denken. Die Welt ist nicht trumpistisch. Es gibt sehr viele Länder in Europa und auf anderen Kontinenten, die den Präsidenten der USA respektieren, aber nicht die Überwindung des Rechtsstaats oder die Aufgabe multilateraler Regierungsformen teilen. Diese Länder könnten sich, statt sich einzeln zu fürchten, zusammenschliessen, ohne den USA feindlich gegenüberzustehen.
Diskutieren Sie mit:
Wie bewerten Sie die Unbeweglichkeit der EU bezüglich der Lage in Gaza?
Die Bürger haben recht, wenn sie einen Glaubwürdigkeitsverlust der EU anprangern. Es gibt keine gemeinsame Aussenpolitik, weil die Länder nicht gezwungen sind, eine gemeinsame Position zu finden; es gibt das Vetorecht. Es bräuchte mehr Integration. Aber die Politik ist heute mehr am Lokalen orientiert und nationalistischer – unfähig, grössere europäische Einheit zu erzeugen.