In 14 Jahren Krieg sind in Syrien Tausende Kinder verschwunden. Teils sind es Kinder von Oppositionellen, die gewaltsam von ihren Familien getrennt wurden. Andere wurden nach Vergewaltigungen in Gefängnissen geboren.
Was im Einzelnen mit ihnen geschah, ist unklar. Die Hypothesen sind zahlreich: Sie mussten Militärdienst an der Front leisten, wurden ins Ausland adoptiert oder gar an Bettel- respektive Prostitutionsnetzwerke verkauft.
«Organisiertes Kriegsverbrechen»
«Dass Kinder in Syrien verschleppt wurden, ist ein organisiertes Kriegsverbrechen, das einer sehr klaren Methodik folgt», erklärt der Rechtsanwalt Ali al-Zeer gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS). «Man könnte sogar von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen, weil es systematisch im ganzen Land begangen wurde.» Der auf solche Fälle spezialisierte Anwalt hilft Familien, deren Kinder unter dem Assad-Regime verschwunden sind und die nun nach ihnen suchen.
Wie eine Frau nach Schwester und Neffen sucht (dt. Untertitel):
«Ich will verstehen, was ihnen zugestossen ist», sagt Hiam Bahhar. Im Jahr 2013 verschwanden ihre Schwester und deren Söhne während einer Autofahrt. «Sogar der Fahrer ist verschwunden. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört», berichtet sie.
Während zwölf Jahren hat Hiam Bahhar keine Anzeige erstattet, aus Angst vor Repressalien. Nun hat sie Rechtsanwalt al-Zeer beauftragt, ihr beim Zusammenstellen des Dossiers für den Fall zu helfen. «Ich hoffe, dass es eine Untersuchung geben und dass man herausfinden wird, was ihnen zugestossen ist, damit unsere Herzen Ruhe finden können», betont Bahhar.
Unterbringung in Waisenhäusern
Einige der Minderjährigen hat der Geheimdienst in Waisenhäusern untergebracht. Sie sind dort unter falschen Namen aufgewachsen. «Wir haben Dokumente des Luftwaffengeheimdienstes gefunden, die die geheime Unterbringung von Kindern anordnen», berichtet Muatassem al-Salloumi, der neue Direktor eines Waisenhauses in einem Vorort von Damaskus.
Hunderte Kinder von Oppositionellen sind dort während des Krieges aufgewachsen. Al-Salloumi versucht, ihre Geschichten aufzudecken. «Das sind Kinder von Gefangenen, und diejenigen, die sich hier um sie hätten kümmern sollen, waren Kriminelle», betont er.
Die Betreuung dieser Kinder wurde von Asma al-Assad organisiert, der damaligen First Lady Syriens. Die Assad-Familie zögerte nicht, einige Kinder für ihre eigenen Interessen zu missbrauchen. «Asma al-Assad kam zu uns, um über die Zukunft zu sprechen und vor allem mit den Buben über den Militärdienst zu diskutieren», erinnert sich eine ehemalige Bewohnerin des Waisenhauses. «Sie sagte ihnen: Ihr müsst dienen, um euer Land zu verteidigen.»
Was konkret mit den Tausenden von Kindern passiert ist, soll nun geklärt werden. Seit Mai ist eine Untersuchungskommission unter der neuen syrischen Regierung daran, die Fälle aufzuarbeiten.