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Fall Caster Semenya Wann ist eine Frau eine Frau?

Der Fall der intergeschlechtlichen Sportlerin wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie gerecht kann der Spitzensport sein?

Das, was rund um die Weltmeisterschaft in Berlin 2009 passiert ist, hat Caster Semenyas Leben verändert. In ihrer Autobiografie schreibt sie, dass sie am Tag vor ihrer Abreise ein Telefon bekommen habe: Der südafrikanische Leichtathletikverband war am Apparat. Jemand wolle sich mit ihr treffen und ein paar Tests machen.

Zweifache Olympiasiegerin

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Semenya gewann in ihrer Karriere zweimal Olympia-Gold. Dazu holte sie sich dreimal den Weltmeistertitel sowie eine Bronzemedaille. Zusätzlich gewann sie mehrfach Wettkämpfe bei den Afrikameisterschaften sowie Commonwealth Games.

Semenya ging von den üblichen Tests aus und erklärte dem Arzt, dass sie wegen einer Dopingkontrolle da sei. Dieser habe sie gefragt, ob sie nicht wisse, weshalb sie hier sei. Der wahre Grund sei ein Geschlechtstest. Es kommt heraus, dass Caster Semenya intergeschlechtlich ist. Intergeschlechtliche Menschen werden mit Merkmalen geboren, die weder eindeutig weiblich oder männlich sind.

Die Sportlerin musste Hormone zu sich nehmen, um ihren Testosteronwert herunterzukriegen. Nachdem der Verband die Regeln verschärft hatte, hörte Semenya damit auf und klagte gegen die Regeln. Konsequenz: Semenya durfte nicht mehr an den Start.

«Hormone sind weitreichende Eingriffe»

Dennis Krämer ist Soziologe an der Uni Münster. Hormone nehmen, um den Testosteronspiegel zu senken, sei kein Klacks, sagt er: «Das sind keine Lutschpastillen, sondern weitreichende Eingriffe in das körperliche und psychosoziale Empfinden der Personen.»

Testosteron sei durchaus ein Booster, so Krämer, aber: «Ein höherer Testosteronwert bedeutet nicht, dass man zu mehr sportlicher Leistung fähig ist. Würde man den Gedanken weiterführen, müsste man auch bei den Männern nach Testosteronwerten differenzieren.»

Die Herausforderung bestehe darin, dass nicht alle Formen von Intersexualität gleichermassen mit Androgenen wie Testosteron umgehen könnten. «Man hätte beispielsweise bei einer Stichprobe hohe Werte, diese sagen jedoch überhaupt nichts darüber aus, ob man zugleich ein besseres Muskelwachstum hat.»

Wieso keine Testosteronregel bei Männern?

Wann ist eine Frau eine Frau? An dieser Frage ist die Karriere der Spitzenläuferin zerbrochen. «Man muss sich vor Augen führen, dass Semenya in ihren erfolgreichen Jahren schnell war, aber nicht die Schnellste. Trotzdem sah sie sich diesen Vorwürfen ausgesetzt», so Krämer. In ihrer Paradedisziplin, den 800 Metern, sei sie mehrere Sekunden langsamer gewesen als der schnellste Mann.

Die Testosteronregel gilt nur bei Frauen, dabei können auch Männer mehr Testosteron, oder andere körperliche Vorteile gegenüber anderen haben. Gewisse Ausnahmesportler wie Michael Phelps oder Usain Bolt überragten in ihren Sportarten alle. Weshalb gibt es hier Applaus und keinen Aufschrei? «Scheinbar gibt es bestimmte legitime Merkmale, welche besondere Leistungen honorieren und auszeichnen.» Bei Michael Phelps seien es zum Beispiel die langen Arme und die grossen Hände gewesen. «Da würde niemand von einem biologischen oder genetischen Vorteil, geschweige denn von Ungerechtigkeit sprechen, hier sind es Selbst­verständlich­keiten.»

Das Thema Intersexualität sei viel komplexer als die binäre Aufteilung im Sport, so der Experte: «Wir müssen uns vor Augen führen: Unter dem Begriff Intersexualität gibt es über 80 Varianten der biologischen Geschlechtsentwicklung.»

Einerseits braucht der Spitzensport Kategorien, damit ein fairer Wettkampf möglich ist. Aber eine Lösung, die für alle passt, scheint es nicht zu geben. Caster Semenya jedenfalls will weiterkämpfen.

SRF 4 News, 10.7.2025, 17:14 Uhr ; 

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