In den Kommentarspalten von SRF News tauchen zurzeit Wortmeldungen von Personen auf, die gegenüber einer drohenden Strommangellage skeptisch sind. «Wir müssen nicht sparen, keine Angst» oder «Jetzt auf einmal. Ich finde das Augenwischerei» – so und ähnlich lauteten zum Beispiel Kommentare auf Instagram, als der Bundesrat zum Stromsparen aufgerufen hat. Der Sozialwissenschaftler und Extremismusforscher Marko Kovic sieht einen Grund für die Skepsis auch bei der Kommunikation des Bundes.
SRF News: Wie gross ist der Anteil dieser «Strommangel-Skeptiker» in der Bevölkerung?
Marko Kovic: Das ist sehr schwierig einzuschätzen. Grob gesagt: Von allen Menschen, die eine kritische Haltung bezüglich der Massnahmen des Bundes gegen eine drohende Strommangellage haben, ist es noch die Minderheit.
Was kritisieren sie genau?
Auf Telegramkanälen und alternativen Medien können zwei Erzählstränge beobachtet werden. Der eine Strang besagt: «Ja, wir haben ein Problem.» Aber es sei vom Westen produziert, weil man Russland provoziert oder sogar angegriffen habe. Schuld daran seien die Eliten, die Linken, die Grünen und die sogenannten Globalisten.
Im zweiten Erzählstrang gibt es gar keine Energiekrise – oder wenn es sie gäbe, dann sei sie von denselben «Schuldigen» konstruiert, um die Menschen noch gefügiger zu machen.
Was meinen Sie mit «gefügig machen»?
Gemeint ist, dass das ganze Teil sei von der Verschwörungstheorie des «Great Reset», dass also die Wirtschaftselite eine neue Weltordnung etablieren will. Was in der Pandemie angefangen hätte – also die Welt umbauen, Menschen versklaven – würde jetzt mit der Drangsalierung mit Strom und Energie weitergehen.
Gehören alle «Strommangel-Skeptiker» zu diesen beiden Erzählsträngen?
Es gibt immer Menschen, die sich in Grautönen äussern. Sie wissen nicht genau, was sie glauben sollen. Und dann gibt es noch Menschen, die allgemein in diesem Kuchen des verschwörungstheoretischen Denkens drin sind und einfach das Gefühl haben: «Etwas stimmt hier nicht.»
Ist die Kritik denn nachvollziehbar?
Nein, inhaltlich ist es nicht korrekt und nicht faktenbasiert. Das Motiv ist aber nachvollziehbar. Momentan haben wir erneut eine Krise, und wie schon in der Pandemie heisst es: «Du als Individuum bist schuld, du musst dich einschränken.»
Die Kommunikation des Bundes verstärkt das verschwörungstheoretische Denken.
Ich glaube, diese Kommunikation des Bundes verstärkt das verschwörungstheoretische Denken, aber auch allgemein den Groll in der Bevölkerung.
Wie müsste der Bund besser kommunizieren?
Man müsste wegkommen vom Deutungsmuster à la «das Problem ist ein individuelles und es wird gelöst, indem sich Individuen einschränken». Das ist einfach für Menschen, die materiell besser dastehen. Aber für solche, die materiell am Minimum leben – das sind rund 1.3 Millionen Menschen in der Schweiz – ist das keine gute Nachricht. Vielleicht müsste man nicht mit Vorwurf argumentieren, sondern mit Empathie, mit etwas Positivem im Stile von: «Es betrifft uns alle, wir ziehen alle am selben Strick.»
Handelt es sich um die gleichen Menschen, die auch skeptisch gegenüber Covid-19 oder dem Klimawandel sind?
Ein grosser Teil der Onlinepräsenzen der Corona-skeptischen Bewegung hat auch eine sehr kritische Haltung zu dieser Energiekrise. Da gibt es also eine grosse Schnittmenge, wie auch bei Menschen, die den Klimawandel nicht akzeptieren oder nicht als wichtig erachten.
Das Gespräch führte Nico Schwab.