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15 Regionen bombardiert «Russische Angriffswelle wird Stromlage im Winter verschärfen»

Seit Montagfrüh fliegt die russische Armee Angriffe auf 15 ukrainische Regionen, darunter die Hauptstadt Kiew. Beobachter sprechen von den schwersten Luftangriffen seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022. Eine Einschätzung der Lage vom freien Journalisten Denis Trubetskoy in Kiew.

Denis Trubetskoy

Freier Journalist in Kiew

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Der in Sewastopol auf der Krim geborene Journalist Denis Trubetskoy arbeitet in der ukrainischen Hauptstadt Kiew für diverse deutsche und russischsprachige Medien. Er berichtet für diese über Politik und Sport.

SRF News: Die russischen Angriffe auf Kiew gingen in der Nacht auf Dienstag weiter, wie ist die Lage?

Denis Trubetskoy: Es war die zweite Nacht in Folge mit einem grösseren russischen Raketen- und Drohnenangriff. Es hat zahlreiche Luftalarme gegeben. Die Vorstädte wurden mit nordkoreanischen ballistischen Raketen angegriffen, was man in der Stadt akustisch mitbekommen hat. Die Angriffswelle zielt erneut auf die Energie-Infrastruktur. Die nächsten Tage dürften in Kiew und weiteren Städten wie Dnipro stromtechnisch sehr schwierig werden.

Was lässt sich bisher zum Ausmass der Schäden sagen?

Auf jeden Fall war das der grösste russische Luftangriff in diesem Krieg überhaupt. Es wurden rund 240 Raketen von russischer Seite abgefeuert. Eingesetzt werden neben nordkoreanischen ballistischen Raketen auch russische Hyperschall-Boden-Luft-Raketen vom Typ Kinschal und iranische Kampfdrohnen.

Die Schäden sind schwer abschätzbar, aber derart enorm, dass es im Winter unvermeidlich zu grösserem Strommangel kommen wird. Die Angriffe auf die Wasser- und Wärmekraftwerke laufen schon seit Ende März 2022. Der Grossteil der Stromerzeugung kommt weiterhin von Atomkraftwerken, obwohl das AKW Saporischja seit Kriegsbeginn unter russischer Besatzung steht.

Kiew.
Legende: Die russische Angriffswelle zielt zurzeit vor allem auf die Energie-Infrastruktur in den Vorstädten der Hauptstadt Kiew. (Bild: 26. August 2024) IMAGO/NurPhoto

Welche Konsequenzen hat das für die Bevölkerung?

Für den Alltag in der Ukraine bedeutet das, dass die Menschen auf alles vorbereitet sein sollten. Dass man sich Generatoren besorgen sollte und dass die Batterien für alle Sorten von Geräten wie Handys und Laptops immer geladen sein sollten. Das ist auf Dauer schwierig, wobei man etwa die grosse Juli-Hitze mit regelmässigen längeren Stromunterbrüchen überlebt hat. Im Winter sind ähnliche Verhältnisse zu erwarten.

Die Frage ist, wie lange Russland genug Raketen und Drohnen hat, um solch grosse Angriffe durchzuführen.

Werden die russischen Angriffe als Vergeltung für den Vorstoss der Ukraine in der Region Kursk betrachtet?

Die russischen Angriffe laufen seit Frühling 2022. Ich würde das Thema Vergeltung und Rache in so einem Krieg nicht überschätzen. Klar stellen beide Parteien solche Aktionen als Vergeltung dar. Doch die russische Seite hat es seit bald zwei Jahren auf die ukrainische Energie-Infrastruktur abgesehen. Dass es mit Blick auf Herbst und Winter so weitergeht, war absehbar.

Die Frage ist, wie lange Russland genug Raketen und Drohnen hat, um solch grosse Angriffe durchzuführen. Denn auch die russischen Ressourcen sind nicht unendlich, und die jetzigen Raketen stammen längst aus aktueller Produktion.

Luftalarm in Kiew.
Legende: Luftalarm bei russischen Grossangriff. Menschen suchen am 26. August 2024 Schutz in einer Metro-Station in der Hauptstadt Kiew. IMAGO/SOPA Images

Wie reagiert die ukrainische Führung auf die Angriffe?

Die Führung betont in erster Linie, dass die Ukraine die Möglichkeit bekommen sollte, mit westlichen weitreichenden Waffen Militärobjekte auch international anerkanntes russisches Gelände anzugreifen, das über das Grenzgebiet hinausgeht, etwa Militärflugplätze. Das würde das Leben in der Ukraine deutlich erleichtern.

Doch diese Erlaubnis für den Einsatz von Marschflugkörpern steht weiter aus, wobei vor allem die USA dagegen sind. In der Logik der westlichen Reaktion dürfte es irgendwann zu dieser Erlaubnis kommen. Ob das in den nächsten Wochen passiert, bleibt abzuwarten.

Das Gespräch führte Dominik Rolli.

Krieg in der Ukraine

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SRF 4 News aktuell, 27.8.2024, 6:24 Uhr ; 

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