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Der Schwangerschaftsabbruch im Lauf der Geschichte
Aus Echo der Zeit vom 10.03.2021. Bild: Imago
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Abtreibungsgesetze Je katholischer ein Land, desto restriktivere Abtreibungsregeln?

In Polen gehen seit Monaten die Wogen hoch. Auch wenn ein Kind schwerst behindert oder tot zur Welt kommen würde, dürfen Polinnen die Schwangerschaft nicht mehr abbrechen. Die strenge Abtreibungsmoral in Polen wird immer mal wieder religiös erklärt. Die Gründe seien aber vielschichtiger, sagt die Soziologin Daphne Hahn. Sie hat das Thema Abtreibungsmoral erforscht.

Daphne Hahn

Daphne Hahn

Soziologin

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Hahn ist Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung an der Hochschule Fulda in Deutschland. Sie ist zudem Co-Herausgeberin des Buches «Abtreibungen. Diskurse und Tendenzen».

SRF News: Je katholischer ein Land, desto restriktivere Abtreibungsregeln – stimmt das?

Daphne Hahn: Das hat sicher einen Einfluss. Aber da spielen noch viele andere Gründe eine Rolle. Es ist auch eine Frage, wie religiös und plural die Bevölkerung ist. Trotzdem wir einige Länder in Europa haben, wo die katholische Kirche stark ist, gibt es unterschiedliche Regelungen.

Könnten Sie ein paar Beispiele nennen?

Ein aktuelles Beispiel ist Polen, das auch eine sehr besondere Geschichte hat, was den Schwangerschaftsabbruch betrifft. Zu sozialistischen Zeiten hatte das Land eine sehr liberale Regelung, die dann 1993 aber zurückgenommen wurde. Jetzt wurde sie noch einmal verschärft durch den Entscheid des Verfassungsgerichts, dass die embryopathische Indikation nicht verfassungskonform ist und es damit eigentlich gar keine Abbrüche mehr gibt. In Polen hat die katholische Kirche einen sehr starken Einfluss auf die Politik.

In anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich ist die Religiosität nicht so stark, die katholische Kirche jedoch schon. Aber die Trennung zwischen Kirche und Staat funktioniert dort sehr gut und es gibt eine starke liberale Tradition. Das zeigt sich auch darin, dass die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch gerade nochmal liberalisiert wurde und die Frage der Umsetzung der Rechte von Frauen dort auch nochmal eine ganz andere Rolle spielt. Das diskutiert man in Polen eigentlich gar nicht.

Abtreibungsbefürworterinnen argumentieren mit der Selbstbestimmung, Gegner mit dem Schutz des ungeborenen Kindes. Bereits in der Antike war Abtreibung ein Thema. Wie wurde damals argumentiert?

Aristoteles kannte den Begriff der Sukzessivbeseelung, der bedeutete, dass ein entstehendes Leben nach einer bestimmten Zeit eine Seele bekommt. Bei den männlichen Föten waren das 40 Tage, bei den weiblichen 80 Tage. Davor war eine Abtreibung kein Problem. Das veränderte sich irgendwann dahingehend, dass der Mann das Entscheidungsrecht über eine Abtreibung bekam. Im 18. Jahrhundert kam die Idee des Bevölkerungserhalts auf. Diese hatte lange Einfluss auf Verhütung und Abbruch.

Wann kam die Selbstbestimmung der Frau ins Spiel? War das erst mit den Frauenrechtsbewegungen der Fall?

Genau, das könnte man am Anfang des 20. Jahrhunderts datieren. Die gesamte Idee der Familienplanung, des Rechts auf Entscheidung, ob ein Kind geboren wird, entstand im Prinzip erst in der Nachkriegszeit. Angefangen mit der UNO-Menschenrechtskonvention, die sich damals schon sehr stark auf Familienplanung bezog. Das war eine Folge des Zugriffs auf Familien im Nationalsozialismus. Die Konvention definierte auch, was sexuelle und reproduktive Rechte sind.

Nur beim Schwangerschaftsabbruch konnte man sich nicht einig werden, ob das ein Menschenrecht ist.

Das hat sich in den 1970er-Jahren durch verschiedene Menschenrechtskonferenzen nochmal differenziert, bezog sich dann auf unterschiedlichste Bereiche. Nur beim Schwangerschaftsabbruch konnte man sich nicht einig werden, ob das ein Menschenrecht ist. Aber von vielen wird es als solches bezeichnet. Und sowohl die WHO als auch die EU-Kommission fordern die Staaten auf, Frauen die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch zu gewähren.

Das Gespräch führte Maj-Britt Horlacher.

Echo der Zeit, 10.3.2021, 18 Uhr;

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