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Afghanische Zentralbank «Das reichste Land der Welt klaut Geld vom ärmsten Land der Welt»

Afghanische Gelder für Opfer von 9/11: Das löse bares Unverständnis in Afghanistan aus, sagt eine Journalistin.

Worum geht es? Die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, die Hälfte der eingefrorenen Gelder – 3,5 Milliarden Dollar – aus Afghanistan an US-Opfer der Terroranschläge von 9/11 zu geben, löst in Afghanistan Unverständnis und Ärger aus. Torek Farhadi hat vor der Machtübernahme der Taliban die US-gestützte Regierung in Kabul in finanziellen Belangen beraten. Er sagt: «Das Geld gehört dem afghanischen Volk, nicht den Taliban.»

Wieso verfügen die USA über Gelder aus Afghanistan? Nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 haben die USA 7 Milliarden Dollar der afghanischen Zentralbank eingefroren, damit sie nicht den Taliban in die Hände fallen. Afghanistan verfügte zu diesem Zeitpunkt über 9 Milliarden Dollar in anderen Ländern. Der Rest liegt auf Konten in Deutschland, in den Arabischen Emiraten und in der Schweiz.

Wieso verknüpften die USA 9/11 mit Afghanistan?

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Der Anführer der Terrororganisation Al-Kaida, Osama Bin Laden, wurde 1996 aus dem Sudan vertrieben und wurde von Warlords nach Afghanistan gebracht. Zwar verbündeten sich die Warlords später mit den von den USA angeführten Truppen. Der Führer der Taliban, Mullah Mohammed Omar weigerte sich aber, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Bin Laden an die USA auszuliefern. Bin Laden stammte ursprünglich aus Saudi-Arabien, wurde aber 1994 staatenlos. Er wurde 2011 in Pakistan von US-Soldaten erschossen.

Die USA unter der Regierung George W. Bush und ihre Verbündeten intervenierten militärisch im Herbst 2001 in Afghanistan, um den internationalen Terrorismus in Form von Al-Kaida und die Taliban zu bekämpfen. Die USA installierten eine Interimsregierung. Zum Schutz dieser Regierung und zur Unterstützung des Wiederaufbaus wurde durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Dezember 2001 eine von NATO-Staaten und mehreren Partnerländern gestellte Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) mandatiert.

Im April 2021 zog US-Präsident Joe Biden alle US-Streitkräfte aus Afghanistan ab, ebenso verhielten sich die übrigen beteiligten Nato-Länder. Die Taliban konnten im August 2021 wieder die Macht an sich reissen.

Wieso hat Biden so entschieden? Vor zehn Jahren hat ein Gericht in den USA in einer Zivilklage von Angehörigen von Opfern des Terroranschlags am 9. September 2001 6 Milliarden Dollar Schadenersatz zugesprochen. Die Klage richtete sich gegen Al-Kaida und gegen sämtliche Organisationen, die die Terrormiliz unterstützt haben. Dazu zählen die Taliban, die die Al-Kaida in Afghanistan beherbergt hatten. Damals sei die Verurteilung zu Schadenersatzzahlungen eher als symbolisch betrachtet worden, sagt SRF-USA-Korrespondent Matthias Kündig. Nach dem Einfrieren des afghanischen Geldes nach der Machtübernahme der Taliban erwirkten die Anwälte der Klägerinnen und Kläger sogenannte Vollstreckungsbescheide, um doch noch an Entschädigungszahlungen zu kommen.

Was passiert mit der anderen Hälfte des Geldes? Sie soll der afghanischen Bevölkerung zugutekommen. Deshalb soll das Geld an internationale Hilfsorganisationen, die in Afghanistan tätig sind, verteilt werden.

Was bedeutet dieser Entscheid für die afghanische Wirtschaft? «Es wird eine Katastrophe», sagt Stefanie Glinzki, freie Journalistin in Kabul, dazu. «Die Wirtschaft in Afghanistan ist seit der Machtübernahme zusammengebrochen, auch wegen dieser fehlenden Gelder.» Die Menschen hätten praktisch keinen Zugang zu Hartgeld. Es sei nicht genug Geld im Land.

Wer hat das Geld eigentlich auf die Zentralbank einbezahlt? «Viele dieser Gelder sind die privaten Ersparnisse der Afghanen», so Glinsky. «Die Menschen haben ihr Geld nicht nur der Bank anvertraut, sondern den USA.» Die USA hätten immer gesagt, sie seien Partner der Afghanen und «nun klaut das reichste Land der Welt Geld vom ärmsten Land der Welt», fasst die Journalistin das Empfinden der Bevölkerung zusammen. Akut gebe es bereits Menschen in Afghanistan, die hungerten.

Wie reagieren die Menschen in Afghanistan? Nach Bekanntgabe des Entscheids kam es in Afghanistan zu Demonstrationen. Das afghanische Volk habe mit den Terroranschlägen 9/11 nichts zu schaffen, schrieben die Leute auf Transparente. Auch auf Twitter zeigte sich bares Unverständnis für Bidens Entscheid: «Die Terroristen waren Saudis, nicht Afghanen» wurde kommentiert. Manche Menschen verlangten ihrerseits Schadenersatzzahlungen von den USA als Kompensation für die Zehntausenden von afghanischen Opfern, die die US-Präsenz im Land in den letzten zwanzig Jahren gefordert hatte.

Was sagen die Taliban dazu? Für die Taliban ist Bidens Entscheidung ein gefundenes Fressen: Ihr Sprecher Mohammad Naeem schrieb auf Twitter, die Administration Biden zeige den tiefsten Grad von Menschlichkeit von einem Land und einer Nation.

SRF 4 News, 21.02.2022; 06:23 Uhr ; 

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