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Agentengesetz in Russland Bei Kontakt zu Ausländern riskieren Russen Probleme

Der Kreml will sein umstrittenes Gesetz gegen «ausländische Agenten» verschärfen. Bisher waren vor allem Medien und NGOs davon betroffen – nun soll der Kreis erweitert werden.

Bisher konnte jemand von den russischen Behörden zum ausländischen Agenten erklärt werden, wenn er oder sie – oder eine Organisation – Geld aus dem Ausland erhielt. Mit der Gesetzesverschärfung reicht es, wenn jemand «unter ausländischem Einfluss» steht, um zum ausländischen Agenten erklärt zu werden. Es sei völlig unklar, was das bedeute, sagt der ehemalige Russland-Korrespondent von Radio SRF, David Nauer.

Interpretationsspielraum ist gross

Ob jemand zum Beispiel an einer Party mit ausländischen Journalistinnen und Journalisten teilnimmt, mit einem ausländischen Diplomaten isst oder Freunde hat, die Ausländer sind: «All das könnten die russischen Behörden künftig als ‹man steht unter ausländischem Einfluss› interpretieren und die Person zum ausländischen Agenten erklären.»

Jetzt kann im Prinzip jeder Russe, jede Russin zum ausländischen Agenten erklärt werden.
Autor: David Nauer SRF-Auslandredaktor

Abgesehen von der schwammigen Formulierung des Gesetzes, sei auch die Willkür ein grosses Problem. Bisher seien vor allem Aktivistinnen und Journalisten zu ausländischen Agenten erklärt worden, so Nauer, der jetzt als Auslandredaktor in Bern arbeitet. «Jetzt kann im Prinzip jeder Russe, jede Russin zum ausländischen Agenten erklärt werden.»

Nauer macht ein praktisches Beispiel: «Ich als ausländischer Journalist nehme mir in Moskau ein Taxi und rede mit dem Fahrer über Politik. Er postet darauf etwas Kritisches auf Facebook. Das würde wahrscheinlich schon reichen, um ihn zum ausländischen Agenten zu erklären.»

Lückenlose Dokumentation gefordert

Doch was heisst das konkret, wenn jemand als «ausländischer Agent» ins Visier der russischen Strafbehörden kommt? Der ehemalige Moskau-Korrespondent kennt eine Journalistin, die bereits zur ausländischen Agentin erklärt worden ist. «Sie hat mir geschildert, dass sie den Behörden eine extrem detaillierte Buchhaltung ihrer persönlichen Ausgaben abliefern musste. Sie geht Kaffeetrinken, sie kauft sich ein neues Kleid oder ein Buch: Alles muss sie auflisten und einreichen.»

Das bedeute, dass die russischen Behörden im Prinzip alles über diese Person wissen, welche Ausgaben und Einnahmen sie hat. «Es sind ungeheure administrative Belastungen.» Dazu kämen nun auch noch weitere Einschränkungen: So darf zum Beispiel jemand, der «ausländischer Agent» ist, nicht mehr als Lehrer oder Lehrerin arbeiten.

Auswandern als letzter Ausweg

Viele hätten in der Vergangenheit versucht, diese Regeln einzuhalten, so Nauer. Auch jene, die gesagt hätten: «Ich gehe nicht ins Ausland, sondern ich versuche mich irgendwie damit zu arrangieren.» Inzwischen seien ihm aber zahlreiche Leute bekannt, die zu ausländischen Agenten erklärt wurden, «die schlicht und einfach migriert sind, weil es zu schwer ist, zu aufwendig, zu mühsam, all diese gesetzlichen Schikanen zu erfüllen».

Der Staat macht den missliebigen Bürgerinnen und Bürgern das Leben so schwer, dass sie zum Schluss gehen.

Das sei letztlich wohl auch der Sinn hinter der Gesetzgebung, vermutet Nauer: «Dass der Staat so missliebige Bürger und Bürgerinnen, die er am liebsten loswerden möchte, los wird. Er macht ihnen das Leben so schwer, dass sie zum Schluss gehen.» Über den Menschen hänge nun stets dieses Damoklesschwert. «Nach jedem Essen mit jemanden irgendwo in Moskau oder anderswo könnte man Probleme bekommen.»

Ausländerinnen und Ausländer sollen damit als gefährliche Elemente gelten, von denen man sich besser fernhalte. «Russland macht auf diesem Weg die Schotten dicht, der Kreml will das so.»

SRF 4 News, 30.06.2022, 10:05 Uhr ; 

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