Nepal leidet stark unter der Corona-Pandemie. Das Gesundheitswesen ist überfordert, die Spitäler überfüllt, der Impfstoff ist knapp. In den Basiscamps am Mount Everest befinden sich ungeachtet dessen mehrere 100 ausländische Bergsteigerinnen und Bergsteiger, die das günstige Wetterfenster im Mai nutzen wollen. Das Abenteuer sei dieses Jahr mit zusätzlichen Risiken verbunden, erklärt die Bergsteigerin und Journalistin Billi Bierling.
SRF News: Warum stoppt die Regierung die Touren auf den Everest nicht?
Billi Bierling: Für ein armes Land wie Nepal geht es um sehr viel Geld. Denn pro westlichen Bergsteiger erhält die Regierung 11'000 Dollar. Bei aktuell rund 420 Alpinistinnen und Alpinisten im Basislager sind das über 4.5 Millionen Dollar.
2021 ist ein Rekordjahr, noch nie wollten so viele westliche Bergsteiger auf den Gipfel.
2021 ist zudem ein Rekordjahr, noch nie wollten so viele westliche Bergsteiger auf den Gipfel. Wenn die Regierung dichtmachen würde, müsste sie den Betrag für die nächsten zwei bis drei Jahre gutschreiben – wie etwa nach dem Erdbeben von 2015. Das will die Regierung unbedingt vermeiden.
Was heisst das für die Leiter der Expeditionen?
Im Basislager befinden sich zurzeit sehr viele grosse Expeditionen. Es sind vor allem amerikanische und indische, aber weniger Engländer – wegen der Reisebeschränkungen. Der Druck auf die Expeditionsleiter ist auch untereinander gross, die Touren nicht abzusagen. Sie waren in den letzten Jahren öfters mit Klagen konfrontiert, weil sie aus Sicherheitsgründen nicht aufstiegen. Mehrere Expeditionsleiter im Basislager sagten mir aber deutlich, sie würden eine Sperre des Berges durch die Regierung begrüssen.
Wo sehen Sie die zusätzliche Gefahr, wenn die Expeditionen weitergehen?
Eine ganz grosse Gefahr aufgrund der aktuellen Lage mit Covid-19 ist die medizinische Versorgung. Abgesehen von möglichen Ereignissen wie etwa Lawinen gibt es jedes Jahr auch Verletzte mit Erfrierungen und Höhenkranke. Die Betroffenen werden in normalen Zeiten nach Kathmandu geflogen und können dort in der Regel in guten Spitälern versorgt werden. Das ist im Moment nicht gewährleistet, weil die Spitäler wegen Corona am Anschlag sind.
Ich bin nicht sicher, ob sich die Menschen in ihrem Gipfelfieber des zusätzlichen Risikos voll bewusst sind.
Es gibt zudem auch keine Flüge, um sich einfach ins Ausland beziehungsweise in die Heimat ausfliegen zu lassen. Die Regierung wird nicht von heute auf morgen einspringen können. Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen im Basislager in ihrem «Gipfelfieber» sich dieses zusätzlichen Risikos voll bewusst sind. Aber das Wetterfenster vom 11. bis 13. Mai ist günstig. Dann werden wohl 400 Personen auf dem Weg zum Gipfel sein, darunter 150 Sherpas.
Die Alpinisten gefährden sich selbst. Gefährden sie auch andere, weil sie Sauerstoff brauchen, der anderswo dringender benötigt würde?
Natürlich. Und es gibt auch Menschen, die sich Sorgen machen, dass die Bergsteiger den Nepalesen die Spitalbetten wegnehmen könnten. Das Problem mit dem Sauerstoff ist aber anscheinend nicht so gross, gibt es doch mehrere grosse Sauerstofffabriken in Kathmandu. Doch es mangelt an den Flaschen. Davon lagern im Basislager rund 5000. Diese sind zwar kleiner und ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber es könnte damit möglicherweise doch das eine oder andere Leben eines Corona-Erkrankten gerettet werden.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.