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Atomare Aufrüstung hat wieder begonnen
Aus Echo der Zeit vom 11.02.2021. Bild: Imago
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Atomwaffen Nukleare Abrüstung war einmal – jetzt wird aufgerüstet

Welches ist das nächste Land mit Atomwaffen? Eine berechtigte Frage – und auch bisherige Atommächte rüsten kräftig auf.

Nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki erfanden Atomwissenschaftler 1947 die Weltuntergangsuhr. Sie zeigt symbolisch, wie nah die Welt vor einem Atomkrieg steht. Heute stehen die Zeiger auf 100 Sekunden vor 12 – so kurz davor wie noch nie.

Als US-Präsident Joe Biden vor seiner Wahl im US-Sender PBS gefragt wurde, ob er eine nukleare Auseinandersetzung befürchte, antwortete er, nach langem Zögern: «Ja. Die Lage ist bedrohlich.» Er mache sich Sorgen, «dass jemand eine Situation falsch einschätzt und plötzlich Atombomben eingesetzt werden».

Cover des «Economist»
Legende: Pazifistische oder humanitäre Organisationen warnen schon länger vor der atomaren Aufrüstung und einem drohenden Atomkrieg. Mittlerweile sind breite Kreise besorgt. Der britische «Economist» titelte jüngst: «Welches ist das nächste Land mit Atombomben?» Screenshot Economist

UNO-Generalsekretär António Guterres fordert alle Staaten auf, dem im Januar in Kraft getretenen UNO-Atomverbotsvertrag beizutreten. Doch gerade bei jenen Regierungen, die selber Atomwaffen besitzen, findet er kaum Gehör. Diese rüsten mehrheitlich auf- statt ab.

Atommächte rüsten kräftig auf

Box aufklappen Box zuklappen

Auch Biden plädiert keineswegs für atomare Totalabrüstung. Die USA investieren derzeit zig Milliarden Dollar in moderne Atomwaffen. Dasselbe tut Russland, zumal es einzig im Nuklearbereich auf Augenhöhe mit den USA ist. Präsident Wladimir Putin betont gern, das Atomarsenal seines Landes sei voll kampfbereit. Zwar schafften es die USA und Russland in letzter Minute, das New-Start-Abkommen über nukleare Langstreckenwaffen zu verlängern.

Gleichzeitig beklagt Aussenminister Sergej Lawrow im saudischen Sender «Al-Arabyia», mit den Amerikanern könne man kaum verhandeln. Sie hätten ihren Sinn für Diplomatie verloren. Und Fung Yi, eine gewichtige aussenpolitische Stimme des chinesischen Regimes, versichert treuherzig, ihr Land strebe keineswegs nach globaler Vorherrschaft. Tatsächlich rüstet Peking jedoch auch im Nuklearbereich kräftig auf. Dasselbe tun Indien und Pakistan. Ebenso Nordkorea, wie gerade ein UNO-Bericht dokumentierte.

Immer mehr Experten rechnen damit, dass sich der Kreis der Atommächte in den nächsten Jahren erweitert. Für Mark Fitzpatrick, früher im US-Aussenministerium verantwortlich für das Thema Massenvernichtungswaffen und heute Experte bei der Londoner Strategiedenkfabrik IISS, sind Iran und Saudi-Arabien die wahrscheinlichsten Neuzugänge. Sobald Iran Atomwaffen besitze, würden weitere Regionalmächte nicht zuschauen, sondern reagieren.

Gegenüber Teheran erreichte US-Präsident Donald Trump mit seiner «Politik des maximalen Drucks», dass sich Iran heute näher an der Atombombe befindet als zuvor, als das von ihm aufgekündigte Atomabkommen noch galt. Dieser Tage signalisieren Washington wie Teheran, sie wollten zurückkehren zum Atomabkommen. Doch beide verlangten, dass die andere Seite den ersten Schritt macht, sagt Fitzpatrick: «Der Kompromiss müsste lauten: Beide bewegen sich parallel.»

Graffiti an Wand in Teheran
Legende: Neben Iran und Saudi-Arabien werden auch Japan, Südkorea, Taiwan oder die Türkei als mögliche neue Atommächte gehandelt. Was also bräuchte es, um die Weltuntergangsuhr wieder ein paar Sekunden zurückzudrehen? Keystone

Im Fall Nordkoreas sei es undenkbar, dass das Kim-Regime auf seine Atombomben und damit seine Überlebensgarantie verzichtet, sagt Fitzpatrick: «Das bestmögliche Ergebnis wäre, wenn die Regierung Biden eine Begrenzung des nordkoreanischen Arsenals erreichen könnte.»

Die USA und Russland, die zusammen rund neunzig Prozent aller Atomwaffen weltweit besitzen, könnten sich massive Abrüstungsschritte leisten, ohne ihr Abschreckungspotenzial zu gefährden. Unter Biden dürften die USA einen entsprechenden Vorstoss lancieren.

Russland, das wirtschaftlich erheblich unter Druck steht und sich seine Hochrüstung eigentlich gar nicht leisten kann, könnte darauf einsteigen. Angesichts des Klimas des Misstrauens ist der Ausgang völlig offen.

China sperrt sich

Zudem wollen die USA unbedingt China mitverpflichten, wenn es um neue Rüstungsabbau- und -kontrollverträge geht. Doch Peking verweigert sich solchen Ansinnen stur. Laut dem IISS-Experten nicht ganz grundlos. Denn China besitzt noch gar keine Langstreckenatomwaffen.

US-Militär testet Interkontinental-Rakete, 2017 in Kalifornien.
Legende: «Die Eliminierung von Atomwaffen ist eine der höchsten Prioritäten der UNO», sagte kürzlich UNO-Generalsekretär António Guterres. Im Bild: US-Militär testet Interkontinental-Rakete, 2017 in Kalifornien. Keystone

Hingegen rüstet China im Mittelstreckenbereich enorm auf. Dabei ist klar: Je stärker China aufrüstet, je aggressiver es auftritt, umso eher streben auch Japan oder Südkorea nach eigenen Atomwaffen. Technologisch wären sie in kurzer Zeit imstande, solche herzustellen.

All das wird im Sommer bei der UNO auf der Überprüfungskonferenz zum Atomsperrvertrag von 1970 debattiert. Der Vertrag verpflichtet die Atommächte zur Abrüstung und soll verhindern, dass neue Staaten Atombomben erwerben. Fortschritte wären dringlich. Wahrscheinlich sind sie nicht. Denn ein neues atomares Wettrüsten ist bereits im Gang.

Echo der Zeit vom 11.02.2021, 18 Uhr

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