Letzte Woche wurde in Deutschland nach monatelangen Ermittlungen eine mutmasslich rechte Terrorzelle ausgehoben. Holger Schmidt ist Terrorexperte bei der ARD und erläutert die Zusammenhänge.
SRF News: Was weiss man über die Pläne dieser mutmasslichen rechten Terroristen?
Holger Schmidt: Diese Männer – es sind ausschliesslich Männer – wollten eine Art Bürgerkrieg in Deutschland anzetteln. Sie haben darüber gesprochen, dass – wenn man Anschläge auf Politiker oder auf eine Moschee verüben würde – man damit rechnen könne, dass der Staat sehr hart reagieren würde. Man hätte gehofft, dass andere Gleichgesinnte sich anschlössen. So ungefähr war der Plan. Ich habe allerdings den Eindruck, dass es für die Gruppe noch nicht feststand, wann es losgehen sollte.
Diese Gruppe war vor der Festnahme intensiv überwacht worden. Wie sind die Ermittler vorgegangen?
Mein Eindruck ist, dass der Bundesinlandsgeheimdienst Deutschlands im September 2019 einen Hinweis bekommen und den an die Polizei und den Generalbundesanwalt weitergegeben hat. Danach wurde ermittelt. Zudem wurde ein Beschuldigter aus dieser Gruppe vernommen.
Entgegen aller Annahmen hat dieser Mann die anderen nicht gewarnt. Er war danach eine Art Spitzel in dieser Gruppe und deswegen hatte die Polizei beste Möglichkeiten zu wissen, was die Gruppe tut. Offenbar hat aber die Polizei den Kontakt zu diesem Mann verloren. Daraufhin hat der Generalstaatsanwalt beschlossen, die Wohnungen der Beschuldigten durchsuchen zu lassen.
Man fand sehr viele Waffen sowie selbstgebaute Handgranaten, Geld und Goldbarren, eine Armbrust und einen Morgenstern.
Bei dieser Aktion fand man sehr viele Waffen, teilweise richtige, teilweise selbstgebaute sowie selbstgebaute Handgranaten, Geld und Goldbarren, ein absurdes Sammelsurium bis hin zu einer Armbrust und einen Morgenstern.
Wie sind die Dimensionen dieses Falls?
Es ist ein grosser Fall und es ist erschreckend, wie schnell sich die Gruppe radikalisiert hat.
Insgesamt zählt der Verfassungsschutz in Deutschland rund 12'700 gewaltorientierte Rechtsextreme. Geht von ihnen eine Gefahr aus?
Das kann man schwer abschätzen. In Deutschland ging man bis zur Aufdeckung der NSU-Verbrechen davon aus, dass Gewalt im rechten Spektrum bei den Neonazis vor allem körperliche Gewalt ist, dass es darum geht, politische Gegner anzugreifen. Das gezielte Töten wurde in der Neonazi-Szene für eher ausgeschlossen gehalten.
Auch nachher ging man nicht davon aus, dass es ein Massenphänomen ist, wie es zur gleichen Zeit im islamistischen Terrorismus beobachtet worden ist. Als 2019 der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke erschossen worden ist, war klar, dass sich etwas geändert hat.
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat angekündigt, härter gegen Rechtsextreme vorgehen zu wollen. Was meint er damit?
Man hat neue Stellen geschaffen und möchte neue Ansätze ausprobieren. Beispielsweise gibt es bei der Polizei den Begriff des sogenannten Gefährders. Das ist eine Person, die noch keine Straftat begangen hat, von der die Polizisten aber glauben, dass sie jeden Moment eine Straftat begehen könnte.
Allerdings konnte die Polizei im Bereich des islamistischen Terrorismus mit diesem Ansatz gut arbeiten. Hält man sich die Unschuldsvermutung vor Augen, ist das eine absurde Situation. Im Bereich links und im Bereich rechts hat man ihn aber nicht konsequent angewandt. Nun hat man begriffen, dass man das ganz dringend tun muss.
Rund 60 rechte Gefährder hat die Polizei aufgespürt. Das ist nach meinem Eindruck viel zu wenig für das Gewaltpotenzial in der deutschen Szene.
Das Gespräch führte Roger Aebli.