Seit 2019 gilt in Dänemark das sogenannte «Ghetto-Gesetz», das bestimmte Wohnviertel mit mehr als 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern als «Ghetto» definiert. Quartiere, die dabei mindestens zur Hälfte mit Menschen «nicht-westlichen Ursprungs» bewohnt werden, dürfen zwangsgeräumt oder abgerissen werden. Nun gibt der Europäische Gerichtshof (EuGH) Betroffenen eines Quartiers teilweise recht, die gegen die Regierung eine Sammelklage wegen Diskriminierung lanciert hatten. Eine Blick auf die möglichen Folgen des Urteils von SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann.
Was sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gibt den Klägerinnen und Klägern in den betroffenen Quartieren in weiten Teilen recht. Die Kriterien, die zu Zwangsumsiedlungen oder auch dem Abriss von ganzen Wohnquartieren führen können, seien möglicherweise «direkt oder indirekt diskriminierend». Der Ball gehe jetzt zurück ans dänische Gericht, das dann abschliessend entscheiden müsse, hält der EuGH zugleich fest.
Wie erfolgt in der Praxis die Unterscheidung von Menschen nach ethnischen Kriterien?
Die Kriterien für eine Unterscheidung zwischen «westlicher» und «nicht-westlicher» Herkunft ist letztlich eine dänische Erfindung. Diese gab es bereits vor dem Ghetto-Gesetz. Damals wurden in der Statistik gewisse Länder dem Westen und andere dem Nicht-Westen zugeordnet. Danach ist jemand, der beispielsweise ursprünglich aus Kroatien stammt, ein westlicher Einwanderer. Doch einige Kilometer weiter südlich in Bosnien wurde man bereits zum Nicht-Westler. Als sehr willkürlich wurden die Einteilungen von vielen Menschen in Dänemark und von den Menschenrechtsorganisationen beurteilt.
Welche Auswirkungen könnte der Richterspruch aus Luxemburg auf die bisherige Praxis in Dänemark haben?
Bereits im Vorfeld auch des EuGH-Urteils wurden gewisse Pläne sistiert, gewisse Quartiere in den grossen Städten wie Kopenhagen und Aarhus abzureissen. Im nächsten Jahr können nun Klagen gegen solche Pläne innerhalb Dänemarks weitergeführt werden. Dies nachdem bereits Tausende von Menschen zwangsumgesiedelt wurden. Die weiteren Pläne können also vorerst nicht umgesetzt werden. Reagiert hat auch der frühere Premier und Vater der Vorlage, Lars Løkke Rasmussen, wonach das «Ghetto-Gesetz» wahrscheinlich geändert werden müsse.
Wieviel Rückhalt hat das «Ghetto»-Gesetz in Politik und Gesellschaft?
In der Politik ist der Zuspruch für diese Politik von ganz rechts bis ins linke Lage sehr breit abgestützt. Dies vor allem auch in Form der Sozialdemokraten und ihrer Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Sie plädierte immer wieder auch für unkonventionelle Massnahmen. Das betraf nicht nur die Ghetto-Strategie, sondern auch die Asylpolitik, wo Dänemark einen explizit restriktiven Kurs fährt. So gibt es starke Kräfte im bürgerlichen Lager Dänemarks, die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verabschieden möchten. Bei den Wahlen im nächsten Jahr wird sich zeigen, wo die Trennlinie nach dem Urteil des EuGH liegt.