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Backlash im Bundesstaat Extremes Texas: Mit Gesetz, Bibel und Waffen gegen den Wandel

Nirgendwo wird der Kulturkampf so erbittert ausgetragen wie in Texas. Das Anti-Abtreibungsgesetz ist nur ein Beispiel, wie reaktionäre Kräfte den Wandel bekämpfen. Viele halten einen Bürgerkrieg für wahrscheinlich. Porträt eines Bundesstaats der Extreme.

Turbo-Patriotismus ist verbreitet in Texas. Die Kinder in den Schulen schwören jeden Morgen einen Eid auf die texanische Fahne. Texas hat eine eigene Hymne, und an der «Texas State Fair» feiern die Texaner und Texanerinnen jedes Jahr ihre Unabhängigkeit. Sie sind stolz darauf, dass Texas einst eine eigene Republik war, zwischen 1836 und 1846, vor dem Anschluss an die USA.

Ein überdimensionierter Cowboy an der Texas State Fair
Legende: Ein überdimensionierter Cowboy namens «Big Tex» steht im Zentrum des Treibens an der Texas State Fair in Dallas. SRF / Isabelle Jacobi

Patriotismus in Texas

In Texas ist big beautiful. Das Festgelände in Dallas ist fast 40'000 Quadratmeter gross. Die Besucher essen «Corn Dogs», eine Art Hot Dog im frittierten Polenta-Mantel, trinken Bier und bewundern das übergrosse Maskottchen der Messe, den «Big Tex». «He is awesome», schwärmt Selena, eine füllige 35-Jährige.

Selena, eine Besucherin der Texas State Fair, posiert vor der Kamera
Legende: Turbo-Patriotismus ist verbreitet in Texas. Selena liess sich eine Texas-Flagge hinters Ohr tätowieren. SRF / Isabelle Jacobi

Was hält sie vom reaktionären Anti-Abtreibungsgesetz? Selena ist nicht unbedingt dafür. Aber auch nicht unbedingt dagegen. Sie interessiert sich schlicht nicht für Politik, wie viele Texanerinnen und Texaner. Diese gehen weniger oft wählen als alle anderen US-Amerikaner und US-Amerikanerinnen. Doch das ändert sich gerade.

Tausende Frauen protestieren gegen Abtreibungsgesetz

Im Zentrum von Dallas, bloss zwei Kilometer von der State Fair entfernt, protestieren Tausende von Frauen gegen das drakonische Anti-Abtreibungsgesetz. Es verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab rund sechs Wochen, auch im Fall von Inzest und Vergewaltigung.

Drei Frauen protestieren gegen das Abtreibungsgesetz
Legende: Tonda, Sidney und Ana sind nach Dallas gereist, um gegen das Abtreibungsgesetz zu demonstrieren. SRF / Isabelle Jacobi

Frauen aus verschiedenen Generationen machen ihrem Entsetzen Luft. «Die Regierung von Texas greift die Rechte von uns Frauen an, über unseren Körper zu bestimmen.

Ich kann es nicht fassen, dass wir wieder für Rechte kämpfen müssen, die uns vor fünfzig Jahren gewährt wurden.
Autor: Demonstrantin

Andere Südstaaten werden das texanische Gesetz bald kopieren.» Oder: «Ich kann es nicht fassen, dass wir wieder für Rechte kämpfen müssen, die uns vor fünfzig Jahren gewährt wurden.»

Linke Stadtbezirke und konservative Landregionen

Texas, wie andere Bundesstaaten der USA, ist politisch polarisiert. Die Städterinnen und Städter wählen links-liberal, die Landbevölkerung christlich-konservativ. In Ellis County, etwa eine halbe Auto-Stunde südlich von Texas, treffen sich die Republikaner unter dem Dach einer grossen Scheune. Zuerst wird gebetet.

Eine Menschengruppe betet in einer Scheune
Legende: Die Zuwanderung nach Texas lässt auch konservative Gemeinden wachsen – Trump-Anhängerinnen und -Anhänger fühlen sich vom texanischen Lifestyle angezogen. SRF / Isabelle Jacobi

Dann folgt der Eid auf die texanische Fahne. «Der ländliche Bezirk ist durch und durch konservativ. Die Leute lassen sich auch in der Politik von christlichen Werten leiten», sagt der Vorsitzende der republikanischen Partei von Ellis County, Randy Bellomy.

Randy Bellomy vor der texanischen Fahne
Legende: Der republikanische Vorsitzende Randy Bellomy führt einen Betrieb für Kühl- und Heizungsanlagen und ist Mitglied einer evangelikalen Erweckungssekte. SRF / Isabelle Jacobi

Die Bevölkerung von Ellis County sei in den letzten Jahren stark gewachsen. Viele Trump-Anhänger und Anhängerinnen fühlten sich angezogen von der texanischen Mentalität, sagt Bellomy. «Texaner lieben die Freiheit und kämpfen, um sie zu beschützen. Wir lassen uns nicht gerne vorschreiben, was wir zu tun haben, ausser wir sind einverstanden.»

Die föderalistische Ader ist in Texas schon seit der Gründung des Staats ausgeprägt. Texas befreite sich 1836 von Mexiko und war danach zehn Jahre unabhängig, bevor sich die Republik den USA anschloss – und zu Beginn des Bürgerkriegs gleich wieder abspaltete. Laut einer aktuellen Umfrage unterstützen heute 66 Prozent der Republikaner der Südstaaten eine Abspaltung von den USA.

Republikaner verabschieden extreme Gesetze

In der Hauptstadt Austin regieren die Republikaner mit einem aggressiven Rechtsdrall. Dieses Jahr verabschiedeten sie eine Kaskade kulturkämpferischer Gesetze: das Anti-Abtreibungsgesetz. Ein Gesetz, das den Zugang zu Wahlen beschränkt. Ein Gesetz, welches das offene Tragen einer geladenen Waffe ohne Einschränkungen erlaubt. Diskriminierende Toilettenregeln für Transgender.

Die Wahlkommission in Austin
Legende: Die Wahl-Kommission der grossen Kammer im Parlament von Austin zeichnet neue Wahlkreise. Sie begünstigen die republikanischen Abgeordneten. «Gerrymandering» nennt sich die ganz legale Wahl-Manipulation. SRF / Isabelle Jacobi

Die Republikaner sitzen fest im Sattel. Gerade haben sie neue Wahlkreise gezogen. Aggressives «Gerrymandering» sorgt dafür, dass die Republikaner wohl ein weiteres Jahrzehnt an der Macht bleiben, trotz demografischen Wandels.

Was ist Gerrymandering?

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Gerrymandering bezeichnet die Neuziehung von Bezirksgrenzen, um einer Partei gegenüber einer anderen einen Vorteil zu verschaffen. Im Deutschen kann der Begriff mit «Wahlkreisschiebung» übersetzt werden. Im Fall von Texas begünstigt das Gerrymandering die republikanischen Abgeordneten. Voraussetzung für die legale Manipulation von Wahlkreisgrenzen ist in der Regel das Mehrheitswahlsystem.

Das ärgert die Demokratin Carol Alvarado. Die Latina aus Houston ist die Fraktionsführerin der Demokraten im Senat von Texas. «Das schlimmste ist, dass wir weitere zehn Jahre keinen Anteil an der Macht haben werden, trotz stetigem demografischem Wandel. Dabei hätten die Hispanics mindestens einen Kongress-Sitz gewinnen müssen.»

Senatorin Carol Alvarado
Legende: Die Demokraten und Demokratinnen sind in der Minderheit in Austin und schauen den Republikanern beim Durchregieren zu, so auch Senatorin Carol Alvarado. SRF / Isabelle Jacobi

«Je bunter die Bevölkerung würde, desto mehr heizt sich das politische Klima auf. Die Republikaner wähnen sich in einem Bürgerkrieg», sagt Alvarado.

Texas als meist bewaffneter Bundesstaat

Tatsächlich halten in den USA laut aktuellen Umfragen rund 45 Prozent der Befragten einen baldigen Bürgerkrieg für wahrscheinlich. Solche Ängste sind ein Grund, weshalb die Amerikaner und Amerikanerinnen immer mehr Waffen kaufen. Und in keinem US-Bundesstaat ist die Bevölkerung so bewaffnet wie in Texas. Sogenannte Gun-Shows erleben grossen Zulauf, fast jeden Tag finden solche Waffen-Shows irgendwo in Texas statt.

Waffen an der «Premier Gun Show»
Legende: An der «Premier Gun Show» in Forth Worth präsentieren die Händler und Händlerinnen alles, was Waffennarren begehren mögen. SRF / Isabelle Jacobi

In Fort Worth stehen die Leute Schlange, um Sturmgewehre, Jagdgewehre, Schrotflinte, alle Arten von Revolver und Pistolen, Munition, Schalldämpfer, Messer und Schwerter zu kaufen.

Die Regierung in Washington will uns die Waffen wegnehmen, um totale Kontrolle zu gewinnen.
Autor: Joe Arbeiter

Joe, ein rund fünfzigjähriger Arbeiter, hält nach einem Unterhebel-Repetiergewehr Ausschau. Dass man in Texas seit neustem Waffen ohne Bewilligungsschein offen tragen kann, findet er toll. «Die Leute können sich und ihre Familie beschützen, denn man weiss ja nicht mehr, was alles geschehen kann.»

Eine besondere Gefahr gehe von der demokratischen Regierung in Washington aus. «Die Regierung in Washington will uns die Waffen wegnehmen, um totale Kontrolle zu gewinnen. Wenn das geschieht, verkommen die USA zum kommunistischen oder sozialistischen Land.»

Ein Jäger mit seinem Sohn, der eine Waffe in der Hand hält
Legende: Der Jäger Barry ist mit seinem Sohn Calvin gekommen, um seine Schrotflinte zu verkaufen, sie sei zu kurz für ihn. SRF / Isabelle Jacobi

Der Jagdveranstalter Barry hält die zunehmende Zuwanderung aus liberalen Bundesstaaten wie Kalifornien für das grösste Problem. «In den liberalen Städten ist die texanische Kultur eigentlich verloren gegangen.» Und dann fügt er hinzu: «Das wahre Problem ist die Diversität.» Das heisst: die Latinos, die Afroamerikaner.

Die Zuwanderer müsse man vertreiben, sagt Sohn Calvin. «Wir wollen sie nicht, wir brauchen sie nicht. Sie versuchen Texas in Kalifornien zu verwandeln, durch die Art wie sie wählen, wie sie die Dinge sehen. Es ist Zeit, sich aufzulehnen.»

«Lone Star» im Kapitol in Austin
Legende: Der «Lone Star» von Texas auf dem Hochglanz-Boden des Kapitols in Austin. SRF / Isabelle Jacobi

Was ist los in Texas? Diese Frage beschäftigt auch Steve Harrigan, Autor einer Geschichte des Bundesstaats der Extreme. Das politische Klima in Austin sei schon immer rau gewesen: «Es war ein umkämpftes Land. Es herrschte andauernd Krieg: mit Mexiko, mit den Cherokee und den Komantschen.» Die texanische DNA sei zutiefst defensiv, «und dieser kulturelle Abwehrinstinkt hat bis heute überlebt.»

International, 06.11.2021, 09:08 Uhr

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