Turbo-Patriotismus ist verbreitet in Texas. Die Kinder in den Schulen schwören jeden Morgen einen Eid auf die texanische Fahne. Texas hat eine eigene Hymne, und an der «Texas State Fair» feiern die Texaner und Texanerinnen jedes Jahr ihre Unabhängigkeit. Sie sind stolz darauf, dass Texas einst eine eigene Republik war, zwischen 1836 und 1846, vor dem Anschluss an die USA.
Patriotismus in Texas
In Texas ist big beautiful. Das Festgelände in Dallas ist fast 40'000 Quadratmeter gross. Die Besucher essen «Corn Dogs», eine Art Hot Dog im frittierten Polenta-Mantel, trinken Bier und bewundern das übergrosse Maskottchen der Messe, den «Big Tex». «He is awesome», schwärmt Selena, eine füllige 35-Jährige.
Was hält sie vom reaktionären Anti-Abtreibungsgesetz? Selena ist nicht unbedingt dafür. Aber auch nicht unbedingt dagegen. Sie interessiert sich schlicht nicht für Politik, wie viele Texanerinnen und Texaner. Diese gehen weniger oft wählen als alle anderen US-Amerikaner und US-Amerikanerinnen. Doch das ändert sich gerade.
Tausende Frauen protestieren gegen Abtreibungsgesetz
Im Zentrum von Dallas, bloss zwei Kilometer von der State Fair entfernt, protestieren Tausende von Frauen gegen das drakonische Anti-Abtreibungsgesetz. Es verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab rund sechs Wochen, auch im Fall von Inzest und Vergewaltigung.
Frauen aus verschiedenen Generationen machen ihrem Entsetzen Luft. «Die Regierung von Texas greift die Rechte von uns Frauen an, über unseren Körper zu bestimmen.
Ich kann es nicht fassen, dass wir wieder für Rechte kämpfen müssen, die uns vor fünfzig Jahren gewährt wurden.
Andere Südstaaten werden das texanische Gesetz bald kopieren.» Oder: «Ich kann es nicht fassen, dass wir wieder für Rechte kämpfen müssen, die uns vor fünfzig Jahren gewährt wurden.»
Linke Stadtbezirke und konservative Landregionen
Texas, wie andere Bundesstaaten der USA, ist politisch polarisiert. Die Städterinnen und Städter wählen links-liberal, die Landbevölkerung christlich-konservativ. In Ellis County, etwa eine halbe Auto-Stunde südlich von Texas, treffen sich die Republikaner unter dem Dach einer grossen Scheune. Zuerst wird gebetet.
Dann folgt der Eid auf die texanische Fahne. «Der ländliche Bezirk ist durch und durch konservativ. Die Leute lassen sich auch in der Politik von christlichen Werten leiten», sagt der Vorsitzende der republikanischen Partei von Ellis County, Randy Bellomy.
Die Bevölkerung von Ellis County sei in den letzten Jahren stark gewachsen. Viele Trump-Anhänger und Anhängerinnen fühlten sich angezogen von der texanischen Mentalität, sagt Bellomy. «Texaner lieben die Freiheit und kämpfen, um sie zu beschützen. Wir lassen uns nicht gerne vorschreiben, was wir zu tun haben, ausser wir sind einverstanden.»
Die föderalistische Ader ist in Texas schon seit der Gründung des Staats ausgeprägt. Texas befreite sich 1836 von Mexiko und war danach zehn Jahre unabhängig, bevor sich die Republik den USA anschloss – und zu Beginn des Bürgerkriegs gleich wieder abspaltete. Laut einer aktuellen Umfrage unterstützen heute 66 Prozent der Republikaner der Südstaaten eine Abspaltung von den USA.
Republikaner verabschieden extreme Gesetze
In der Hauptstadt Austin regieren die Republikaner mit einem aggressiven Rechtsdrall. Dieses Jahr verabschiedeten sie eine Kaskade kulturkämpferischer Gesetze: das Anti-Abtreibungsgesetz. Ein Gesetz, das den Zugang zu Wahlen beschränkt. Ein Gesetz, welches das offene Tragen einer geladenen Waffe ohne Einschränkungen erlaubt. Diskriminierende Toilettenregeln für Transgender.
Die Republikaner sitzen fest im Sattel. Gerade haben sie neue Wahlkreise gezogen. Aggressives «Gerrymandering» sorgt dafür, dass die Republikaner wohl ein weiteres Jahrzehnt an der Macht bleiben, trotz demografischen Wandels.
Das ärgert die Demokratin Carol Alvarado. Die Latina aus Houston ist die Fraktionsführerin der Demokraten im Senat von Texas. «Das schlimmste ist, dass wir weitere zehn Jahre keinen Anteil an der Macht haben werden, trotz stetigem demografischem Wandel. Dabei hätten die Hispanics mindestens einen Kongress-Sitz gewinnen müssen.»
«Je bunter die Bevölkerung würde, desto mehr heizt sich das politische Klima auf. Die Republikaner wähnen sich in einem Bürgerkrieg», sagt Alvarado.
Texas als meist bewaffneter Bundesstaat
Tatsächlich halten in den USA laut aktuellen Umfragen rund 45 Prozent der Befragten einen baldigen Bürgerkrieg für wahrscheinlich. Solche Ängste sind ein Grund, weshalb die Amerikaner und Amerikanerinnen immer mehr Waffen kaufen. Und in keinem US-Bundesstaat ist die Bevölkerung so bewaffnet wie in Texas. Sogenannte Gun-Shows erleben grossen Zulauf, fast jeden Tag finden solche Waffen-Shows irgendwo in Texas statt.
In Fort Worth stehen die Leute Schlange, um Sturmgewehre, Jagdgewehre, Schrotflinte, alle Arten von Revolver und Pistolen, Munition, Schalldämpfer, Messer und Schwerter zu kaufen.
Die Regierung in Washington will uns die Waffen wegnehmen, um totale Kontrolle zu gewinnen.
Joe, ein rund fünfzigjähriger Arbeiter, hält nach einem Unterhebel-Repetiergewehr Ausschau. Dass man in Texas seit neustem Waffen ohne Bewilligungsschein offen tragen kann, findet er toll. «Die Leute können sich und ihre Familie beschützen, denn man weiss ja nicht mehr, was alles geschehen kann.»
Eine besondere Gefahr gehe von der demokratischen Regierung in Washington aus. «Die Regierung in Washington will uns die Waffen wegnehmen, um totale Kontrolle zu gewinnen. Wenn das geschieht, verkommen die USA zum kommunistischen oder sozialistischen Land.»
Der Jagdveranstalter Barry hält die zunehmende Zuwanderung aus liberalen Bundesstaaten wie Kalifornien für das grösste Problem. «In den liberalen Städten ist die texanische Kultur eigentlich verloren gegangen.» Und dann fügt er hinzu: «Das wahre Problem ist die Diversität.» Das heisst: die Latinos, die Afroamerikaner.
Die Zuwanderer müsse man vertreiben, sagt Sohn Calvin. «Wir wollen sie nicht, wir brauchen sie nicht. Sie versuchen Texas in Kalifornien zu verwandeln, durch die Art wie sie wählen, wie sie die Dinge sehen. Es ist Zeit, sich aufzulehnen.»
Was ist los in Texas? Diese Frage beschäftigt auch Steve Harrigan, Autor einer Geschichte des Bundesstaats der Extreme. Das politische Klima in Austin sei schon immer rau gewesen: «Es war ein umkämpftes Land. Es herrschte andauernd Krieg: mit Mexiko, mit den Cherokee und den Komantschen.» Die texanische DNA sei zutiefst defensiv, «und dieser kulturelle Abwehrinstinkt hat bis heute überlebt.»