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Beziehung USA-China Wenn sich zwei Giganten anschweigen

Drei Tage lang waren eine grosse chinesische und eine noch grössere amerikanische Delegation auf dem Asien-Sicherheitsgipfel in Singapur. Drei Tage im selben Luxushotel, mit Delegationsbüros auf demselben Flur, Tür an Tür. Drei Tage jedoch praktisch ohne jeden Austausch, abgesehen von einem kurzen Händedruck der beiden Verteidigungsminister und ein paar wenigen Worten vor einem Diner.

Was selbst den Sowjets und den Amerikanern in den finstersten Zeiten des Kalten Kriegs gelang, nämlich auf den verschiedensten militärischen Führungsebenen permanente Kontakte zu etablieren, schaffen momentan Peking und Washington nicht. Die USA wären dazu bereit, die Chinesen sind es nicht.

In schlechter Stimmung das probate Mittel

Gerätselt wird, warum nicht. Offiziell betonen die Chinesen, ihr neuer Verteidigungsminister sei von den Amerikanern mit Sanktionen belegt. Und: Das politische Klima sei generell nicht so, dass ausgerechnet im militärischen Bereich eine Standleitung möglich wäre. Dazu sei Vertrauen nötig.

Allerdings: Gerade in Krisenzeiten, gerade wenn die Stimmung miserabel und das Zerwürfnis tief ist, braucht es solche heissen Drähte. Damit nicht zwei Supermächte mit Atomarsenalen plötzlich und unbeabsichtigt in einen Krieg stolpern.

Im Kalten Krieg verhinderten die roten Telefone wohl mehrfach Schlimmes. Auch die leidige und im Grunde läppische chinesisch-amerikanische Ballonaffäre im Februar hätte sich wohl leicht beilegen lassen, wenn die beiden Führungen unverzüglich, offen und professionell kommuniziert hätten.

Kalkuliert oder einfach nur leichtsinnig?

Bleibt die Frage, warum die Chinesen sich auch auf dem Singapurer Spitzentreffen standhaft weigerten, in dieser Schlüsselfrage einzulenken. Wollen sie für die Amerikaner ganz bewusst unberechenbar bleiben? Oder schätzt man in Peking die Gefahr einer jähen, ungewollten Eskalation als viel geringer ein als in Washington?

Jedenfalls ist es grob fahrlässig und enorm gefährlich, wenn auf eine ständig offene Verbindung verzichtet wird, auf dieses bewährte Mittel des Krisenmanagements.

Ein Minimum an Transparenz und Kommunikation ist kein Bonus, den man sich in guten Zeiten und unter Freunden gönnt. Ein dauerhafter direkter Draht ist genau dann unverzichtbar, wenn sich zwei Supermächte als Feinde gegenüberstehen. Also jetzt.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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SRF 4 News, 04.06.2023, 5 Uhr

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