Als US-Präsident Joe Biden vor einem Jahr Indiens Premierminister Narendra Modi im Weissen Haus empfing, klang er enthusiastisch. Er sprach vom «enormen Respekt zwischen den beiden Ländern – weil beide Demokratien sind». Seither kehrte angesichts der verhaltenen Annäherung jedoch Ernüchterung ein.
Drei Ereignisse förderten die Skepsis: Auf dem Asien-Sicherheitsgipfel in Singapur war Indien nur mit Vertretern niedrigeren Ranges vor Ort. Das war zwar mit den gerade stattfindenden Wahlen zu erklären. Doch die Lesart, Delhi wolle sich in den Auseinandersetzungen auf dem Gipfel zwischen China und den USA nicht positionieren, dürfte auch nicht falsch sein.
Zurückhaltung im Ukraine-Konflikt
Danach kamen, trotz Drängens der Ukraine, der Schweiz und vor allem der USA, weder der Premierminister noch der Aussenminister zum Ukraine-Gipfel auf dem Bürgenstock, sondern bloss ein Diplomat.
«Und Indien ist auch nicht interessiert, einen Folgegipfel für einen gerechten Frieden in der Ukraine zu veranstalten, obschon es dazu geeignet wäre», so Viraj Solanki, Indien-Fachmann beim Londoner Strategieinstitut IISS.
Indien ist sehr darauf bedacht, nicht als pro-westlich dazustehen, sondern als eigenständiger Machtpol.
Für Empörung im Westen sorgte neulich schliesslich Modis freundschaftlicher Besuch beim russischen Diktator Wladimir Putin. «Indien verteidigt in erster Linie entschlossen seine eigenen Interessen», erklärt Antoine Levesques , Südasien-Experte beim IISS.
Und diese bestehen auch in einer weiterhin engen Rüstungszusammenarbeit mit Moskau und der Chance, zu Vorzugspreisen massenhaft russische Waren, vor allem auch Rohstoffe, zu importieren, die Russland im Westen nicht mehr loswird.
Bloss Reaktion auf Chinas Provokationen
Die Beispiele zeigen: Wird in Washington eine strategische Partnerschaft mit Indien beschworen und gar eine De-facto-Allianz, so ist das weit übertrieben. Von einer Busenfreundschaft kann keine Rede sein, nicht mal von einer Zweckehe. Die Braut ziert sich.
Die indische Annäherung an den Westen ist primär eine Reaktion auf das forsche Vormachtstreben Chinas im gesamten asiatisch-pazifischen Raum. Dagegen sucht Modi Verbündete, in den USA und zunehmend auch bei asiatischen Ländern.
«Hingegen ist Indien sehr darauf bedacht, nicht als prowestlich dazustehen, sondern als eigenständiger Machtpol», so Levesques. Obschon die koloniale Vergangenheit weit zurückliegt, schwingt bis heute zudem ein Grundmisstrauen gegenüber westlichen Mächten mit.
Mit angezogener Handbremse
Obschon also die USA bereit sind, mit Indien selbst in sensiblen Bereichen wie Rüstung und Atomtechnologie eng zusammenzuarbeiten, engagiert sich Delhi weniger als Washington möchte.
Deutlich äussert sich das in der sogenannten Quad-Gruppe. Ihr gehören neben den USA und Indien auch Japan und Australien an. Peking bezeichnet sie als «informelle Anti-China-Allianz». Da die Quad-Gruppe ein Gegengewicht zu China bildet, macht Indien zwar mit, jedoch stets mit angezogener Handbremse.
Auch da, so Solanki, wünschten sich die USA mehr. Weil daraus nichts werden dürfte, bauten sie nun an alternativen Sicherheitspartnerschaften im indopazifischen Raum.
Die Chancen für eine wirklich enge amerikanisch-indische Freundschaft scheinen also weitaus geringer, als viele in Washington dachten.