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Gaza-Krieg: Osama bin Laden ging auf Tiktok viral
Aus Echo der Zeit vom 21.11.2023. Bild: REUTERS/Dado Ruvic/Illustration
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Bin Laden bei Tiktok «Wir befinden uns in einem grossen Informationschaos»

Osama bin Laden ist zurück. Der Drahtzieher der Anschläge von 9/11 feiert mehr als 20 Jahre nach der Terrorattacke auf die USA und über zwölf Jahre nach seinem Tod bei Tiktok ein Revival. Der Extremismusforscher Jakob Guhl ordnet das Phänomen ein.

Jakob Guhl

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Jakob Guhl beschäftigt sich beim Institute for Strategy Germany (ISD) mit Extremismus, Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien im Internet.

SRF News: Was passiert da gerade mit der Verherrlichung bin Ladens auf Tiktok?

Jakob Guhl: Wir haben es bei den Userinnen und Usern mit häufig jungen Menschen zu tun, die keine eigene Erinnerung an 9/11 haben. Sie nehmen den aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hamas sehr emotional wahr und sind mit einem Informationschaos in den sozialen Medien konfrontiert. Es werden falsche, unüberprüfte oder Informationen ohne Kontext geteilt. Plötzlich wird der Terrorist zum Helden.

Bin Ladens antisemitische Verschwörungstheorien, die Homophobie oder der Glaube an einen totalitären Staat werden ausgeblendet.

Dabei wird bin Ladens Brief sehr selektiv wahrgenommen: Gesehen werden seine Äusserungen zum Konflikt um Palästina, dem die Leute zustimmen können. Doch bin Ladens antisemitische Verschwörungstheorien, die Homophobie oder der Glaube an einen totalitären Staat werden ausgeblendet. Ebenso die Rechtfertigung für Terroranschläge auf die Zivilbevölkerung. All das ist in dem Brief ebenfalls enthalten.

Dank altem Brief vom Terroristen zum Freiheitskämpfer

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Im Zusammenhang mit dem Gazakrieg geht ein von bin Laden kurz nach den Terroranschlägen 2001 verfasstes Pamphlet viral, in dem er die Rolle der USA im Nahostkonflikt kritisiert, aber auch Judenhass verbreitet und Terror verherrlicht. Für viele junge Amerikanerinnen und Amerikaner wird aus dem Terroristen nun plötzlich ein Befreiungskämpfer.

Warum wird da so vieles ausgeblendet?

In den sehr kurzen Clips, die auf Social-Media-Plattformen geteilt werden, kann gar nicht auf den kompletten Kontext eingegangen werden. Es werden nur wenige Fragmente gepostet und es wird mit Emotionen gespielt. Ausserdem gibt es keine Grautöne, keine historischen Analysen oder Zusammenhänge, die gerade im Nahostkonflikt zentral sind. Es wird klar Stellung bezogen – schwarz oder weiss – und Inhalte werden sehr schnell geteilt. Selbst wenn sie unbestätigte Behauptungen enthalten.

Ein Versagen von Tiktok, X & Co.

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Das Viralgehen von bin Ladens Brief nennt Jakob Guhl ein «grosses Versagen» der Social-Media-Plattformen – nicht nur von Tiktok, sondern auch von X (früher Twitter) oder Youtube. Die Behauptungen des durch US-Marines 2011 in Pakistan getöteten Terroführers verstiessen «ganz klar» gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattformen, so Guhl. Schliesslich lobpreist bin Laden den Terrorismus, was die Plattformen eigentlich verhindern sollten.

User frohlocken, bin Ladens Brief habe ihnen die Augen geöffnet. Wie kommt das?

Die allermeisten beziehen sich dabei auf Palästina und die Unterstützung Israels durch die USA, welche sie kritisch sehen. Der Rest des Briefes wird nicht thematisiert. Auch muss man sich bewusst sein: Tiktok hat über eine Milliarde Userinnen und User weltweit – und auch wenn mehrere Millionen nun den Bin-Laden-Brief teilen, ist es doch ein vergleichsweise kleines Phänomen.

Es ist ein grosses Informationschaos, bei dem niemand so genau weiss, wie man damit umgehen muss.

Seit Beginn des Krieges in Nahost kursiert viel Kriegspropaganda in den sozialen Medien. Wie heikel ist das angesichts der Tatsache, dass sich viele Jugendliche fast nur in diesen Medien informieren?

Die Debatte ist auf allen Seiten sehr polarisiert und wird sehr emotional geführt. Es besteht die grosse Gefahr, dass sich die Leute jene Inhalte herauspicken, die ihre Haltung bestätigen. Es kursieren auch viele falsche Videos und Bilder. Es ist ein grosses Informationschaos, bei dem niemand so genau weiss, wie man damit umgehen muss.

Was müssen Anbieter von sozialen Medien oder die Gesellschaft als Ganzes tun, um wieder die Kontrolle zu erhalten?

Dokumente wie bin Ladens Brief können durchaus benutzt werden – in der Schule etwa. Dort aber müsste er in seiner Gänze kritisch diskutiert und im Gesamtkontext erläutert werden. Seitens der Plattformen sollte es eine grössere Transparenz geben, wie die Moderation von Inhalten geschieht. Denn offensichtlich klappt sie bei Lobpreisungen terroristischer Akteure nur sehr lückenhaft – wie klappt sie dann bei anderen Inhalten? Ausserdem braucht die Forschung einen besseren Datenzugang, um abschätzen zu können, wie gross solche Phänomene sind und welche Auswirkungen sie haben.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Echo der Zeit, 21.11.2023, 18:00 Uhr;

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