Die «Black Lives Matter»-Proteste dominieren seit Wochen die Schlagzeilen. Wie ein Lauffeuer haben sie sich quer über den Globus verbreitet. In Buenos Aires, Berlin, Zürich, ja sogar in Tokio demonstrierten abertausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA.
Oft vermischte sich der Protest mit einem Aufschrei gegen Missstände im eigenen Land. So etwa in der arabischen Welt, wo Aktivisten die Diskriminierung von Afro-Arabern anprangerten:
Aus China hörte man hierzulande aber kaum etwas über Proteste. Zumindest nicht von solchen auf der Strasse. Und das nicht ohne Grund, wie SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi berichtet: «Offizielle Demonstrationen sind in China schwierig und werden kaum toleriert.»
Die Sensibilität, die es im Westen gibt, ist in China wenig vorhanden.
Diskutiert werde aber durchaus, vorab in den sozialen Medien. Und das auf überraschende Weise: «Viele Chinesinnen und Chinesen, auch in meinem Bekanntenkreis, kritisieren eine überbordende politische Korrektheit. Sie finden, dass der Westen das alles irgendwie nicht im Griff hat.»
Sinnbild davon: Chinas ganz eigene «Mohrenkopf-Affäre». Dabei geht es nicht etwa um eine Süssspeise, sondern eine Zahnpasta, die wörtlich übersetzt «Schwarzer Mann» heisst – und entsprechend bebildert ist:
Das Corpus Delicti gehört zum US-Konzern Colgate/Palmolive. Dieser kündigte infolge der Antirassismus-Proteste an, Namen und Logo der Zahnpasta zu «überprüfen». In China stiess das auf wenig Gegenliebe: «In den sozialen Medien wehren sich die Chinesen. Sie wollen nicht, dass man in ihren traditionellen Markennamen reinpfuscht und empfinden das als Bevormundung», erklärt Aldrovandi.
Das verbreitete Gefühl: die Westler übertreiben. Dafür gebe es einen eigenen Begriff im Chinesischen: «Baizuo» (wörtlich übersetzt: «weisse Linke»). Die Schmähung richtet sich gegen eine linksliberale westliche Elite, die jede Bodenhaftung verloren hat – also das chinesische Pendant zum naiven «Gutmenschen». Mit «Baizuo» werde oft auch westliche Kritik an der Menschenrechtslage in China abgetan, so der Korrespondent.
Auch aus dem offiziellen China gab es Wortmeldungen zu «Black Lives Matter». Hua Chunying, eine hochrangige Mitarbeiterin im Aussenministerium, beantwortete einen Tweet ihrer US-Amtskollegin mit «I can’t breathe». Die Amerikanerin hatte der Kommunistischen Partei vorgeworfen, ihre Versprechen gegenüber Hongkong – «ein Staat – zwei Systeme» – gebrochen zu haben.
In solchen Stellungnahmen kommt für Aldrovandi ein gewisser «Whataboutism» zum Ausdruck, der auch in der Bevölkerung verbreitet sei. Die Botschaft: Bei euch ist es auch nicht viel besser, ja sogar schlimmer als bei uns. Dazu kommt: «Die Sensibilität, die es im Westen gibt, ist in China wenig vorhanden.»
Auch die chinesischen Medien berichteten intensiv über die Proteste in den USA. Vor allem die anfänglichen Ausschreitungen und Plünderungen seien «geradezu genüsslich» gezeigt worden, so Aldrovandi. Vom Staat, also der Partei, werde derartige Kritik stark gefördert. Der Tenor: Die USA haben das Chaos im eigenen Land nicht im Griff und sind durchsetzt von Rassismus.
Abschliessend erinnert Aldrovandi aber daran, dass die Chinesen einen ganz anderen Zugang zum Thema Rassismus hätten. «Auch aufgrund ihrer eigenen Geschichte und weil sie selbst unter Rassismus leiden.» Die Erfahrungen und Lebenswelten von Chinesen und Menschen im Westen liessen sich kaum vergleichen.