Zum Inhalt springen

Bolsonaro-Fans in Gelb-Grün «Die Rechtsradikalen zeigen so ihre Macht»

In Brasilien wird das gelb-grüne Trikot der Fussball-Nationalmannschaft zum Politikum. Die Anhänger von Präsident Jair Bolsonaro beanspruchen das Seleção-Trikot für sich und ziehen damit Wochenende für Wochenende durch Brasiliens Strassen.

Das stellt die Bolsonaro-Gegner vor Probleme: ‬Sie suchen jetzt selber nach einer geeigneten Farbe für ihren Protest, weil ihre traditionelle Protestfarbe Rot kaum mehr getragen werden kann. Wieso, weiss SRF-Korrespondent Ulrich Achermann.

Ulrich Achermann

Südamerika-Korrespondent, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Ulrich Achermann ist seit 2003 SRF-Korrespondent und berichtet über alle Länder Südamerikas. Er lebt in Santiago de Chile.

SRF News: Warum nutzt die radikale Rechte ein Fussballtrikot als Symbol?

Ulrich Achermann: Die Rechtsradikalen haben in Brasilien jetzt die Macht – und das zeigen sie gerne, indem sie die gelb-grünen Trikots tragen. Sie tun das immer dann, wenn es um die Forderung geht, die Demokratie in Brasilien abzuschaffen und Präsident Bolsonaro mit diktatorischen Vollmachten auszustatten. Mit den grün-gelben Trikots will man sich auch optisch von den Linken abgrenzen, die bei ihren Demonstrationen früher konsequent rote Shirts getragen hatten.

Demonstrierende in roten Shirts vor einer roten Fahne.
Legende: Linke Demonstranten – Bolsonaro-Gegner – protestierten traditionellerweise in Rot. Doch heutzutage ist das nicht mehr empfohlen: Sie riskieren von Bolsonaros Horden verprügelt zu werden. Reuters

Die Farben sind das eine – wieso aber ausgerechnet ein Fussballtrikot?

Der Fussball ist so etwas wie der Kitt, der die Menschen in den Armenvierteln auf der einen Seite und in den Villen auf der anderen Seite zusammenhält. Er verbindet Menschen aus allen sozialen Schichten, egal, ob sie arm oder reich sind.

Der Fussball ist in Brasilien so etwas wie der Kitt zwischen Arm und Reich.

Gäbe es diesen Kitt nicht, wäre in Brasilien schon lange etwas schiefgegangen. Auch andere Klischees spielen dabei eine Rolle: Samba-Musik oder der Karneval. Fussball und Fahnen sind halt einfach Zeichen des Patriotismus.

Schon mehr als 77'000 Corona-Tote

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Reuters

Das Coronavirus breitet sich in Brasilien weiter aus. Das Gesundheitsministerium meldete am Samstag gut 34'000 Neuinfektionen – innert eines Tages. Damit steigt die Gesamtzahl der Ansteckungen auf 2.05 Millionen. Die Zahl der Todesfälle legte binnen 24 Stunden um 1163 auf 77'851 zu. Brasilien weist in der Coronavirus-Pandemie nach den USA weltweit die meisten Infektionen und Todesfälle auf.

Derweil wurde Präsident Bolsonaro ein zweites Mal positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Er hatte am 7. Juli einen ersten positiven Test bekannt gegeben. Ursprünglich wollte er wieder arbeiten, wenn der Test in dieser Woche negativ ausfiel. Bolsonaro hat die Gefahr durch das Virus wiederholt als gering eingestuft und von einem «Grippchen» gesprochen.

In Brasilien gibt es auch linke Fussballfans. Wie reagieren diese darauf, dass die rechten das Fussballtrikot der Seleção für sich beanspruchen?

Sie überlegen sich gerade, wie sie sich optisch abgrenzen könnten. Eine Möglichkeit wäre die zweite Trikotfarbe der Seleção, blau. Diskutiert wird auch weiss-blau – vor 70 Jahren trat die Fussballnationalmannschaft so auf. Rot dagegen ist derzeit nicht mehr ratsam – wer mit roten Leibchen an eine Demonstration geht, riskiert von den Bolsonaro-Horden verprügelt zu werden.

Frau in gelb-grünem Fussballtrikot der  Seleção mit einem gemalten Porträt-Bild Bolsonaros, dahinter weitere Menschen in Fussballshirts.
Legende: Wird für Bolsonaro demonstriert, tragen die Leute dieser Tage Fussballtrikots der Nationalmannschaft. Reuters

Wie typisch ist es, dass Fussball in Brasilien politisiert wird?

Neu ist, dass sich eine extrem rechts politisierende Bewegung den Fussball als Symbol angeeignet hat. Doch Fussball und Politik haben sich schon früher vermischt. So gingen etwa die Spieler des Erstligisten Corinthians São Paulo in den 1980er-Jahren mit Trikots auf Spielfeld, mit denen sie in der damaligen Zeit der Diktatur Demokratie und Wahlen forderten.

Das Gespräch führte Sandra Witmer.

SRF 4 News aktuell vom 16.7.2020, 06.45 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel