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Brücken-Einsturz in Genua Suche nach Überlebenden geht weiter

Hunderte Menschen können nicht mehr in ihre Häuser. Ob sich das je ändern wird, ist offen, sagt der ARD-Korrespondent.

Zwei Tage nach dem Brückeneinsturz in Genua suchen die Rettungskräfte weiter nach Überlebenden. Bis jetzt wurden offiziell 39 Menschen tot geborgen. Jan-Christoph Kitzler ist Korrespondent der ARD in Italien und berichtet von der aktuellen Situation.

Jan-Christoph Kitzler

Korrespondent der ARD

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Jan-Christoph Kitzler ist seit 2013 Korrespondent in Rom. Kitzler hat auch für andere Medien gearbeitet.

SRF News: Wie gross sind die Chancen, noch Überlebende zu finden?

Jan-Christoph Kitzler: Die Chance ist noch da. Jedenfalls wurde die ganze Nacht mit Spezialgerät und Flutlicht gesucht. Aber die Hoffnung schwindet Stunde um Stunde. Das sagen auch die Sicherheitskräfte. Es wird noch weiter gesucht, weil man nicht genau weiss, wie viele Menschen überhaupt vermisst werden. Möglicherweise wird sich die Zahl der Toten noch erhöhen.

Gibt es denn eine Zahl von mutmasslichen Vermissten?

Nein, auch deshalb, weil unter den Opfern, die man noch zu finden gedenkt, auch Ausländer sind. Sie wurden nicht erfasst oder sind schwer zu erreichen. Es waren Franzosen unter den Opfern, drei Chilenen und ein Kolumbianer. Bisher geht man von 39 Todesopfern aus. Von den 16 Verletzten, die geborgen wurden, sind neun in Lebensgefahr.

Italiens Regierungschef Giuseppe Conte hat gestern Mittwoch für die Stadt Genua den Notstand ausgerufen. Der Ausnahmezustand soll zwölf Monate gelten. Was heisst das genau?

Es geht darum, mit diesen Massnahmen Gelder freizusetzen. Zum Beispiel braucht es finanzielle Hilfe für die über 600 Menschen, die evakuiert wurden. Es ist unklar, ob sie wieder in ihre Wohnungen zurück können. Sie müssen untergebracht werden.

Es braucht eine harte Hand, die das Ganze zentral organisiert.

Zum anderen muss viel Geld in die Hand genommen werden, um die Trümmer zu beseitigen, aber auch, um eine neue Verkehrssituation zu schaffen. Im letzten Jahr sind allein über diese Autobahnbrücke 2,5 Millionen Fahrzeuge gefahren. Sie war eine wichtige Verkehrsachse nach Westen, nach Frankreich und ins Piemont. Es war auch eine wichtige Verkehrsachse für Ferienreisende aus der Schweiz, aus Deutschland, aus Österreich, die in Richtung Südfrankreich wollten. Die fünf Millionen Euro, die die Regierung gestern genehmigt hat, werden sicherlich nicht reichen.

Die Regierung will einen Kommissar für den Wiederaufbau Genuas einsetzen. Ist das eine gute Massnahme?

Ja. Diese Autobahnbrücke war ganz zentral für die Stadt. Ein Grossteil des Verkehrs in Richtung Westen hat sie überquert. Es braucht eine harte Hand, die das Ganze zentral organisiert. Das kann nur ein Kommissar mit umfangreichen Vollmachten durchführen. Ich glaube, es ist eine gute Massnahme, um die Situation wieder im Griff zu bekommen.

Ist die Ursache nach wie vor unklar?

Die Betreibergesellschaft hat alle Vorwürfe zurückgewiesen. Sie hat gesagt, es gebe einen Wartungs- und Sanierungsplan dieser Brücke. Der sei von der Regierung genehmigt. Leute, die diese Brücke regelmässig benutzt haben, haben mir bestätigt, dass auf der Brücke immer wieder Arbeiten durchgeführt worden sind.

Das Problem ist in Italien bei solchen Massnahmen oft, dass dann häufig Subunternehmer und Sub-Subunternehmer zu Werke gehen und dass die, die den ursprünglichen Auftrag bekommen haben, eben einen Teil der Investitionssumme für sich behalten. Dadurch geht viel Geld verloren, das für die Sanierung gebraucht würde.

Diese Autobahnbrücke ist nicht das einzige Problem in Italien. Man geht davon aus, dass 70 Prozent der 15'000 Autobahnbrücken und Tunnel in Italien älter als 40 Jahre sind und dass viele davon stark sanierungsbedürftig sind. Auch das will die Regierung angehen, aber das ist eine sehr grosse Aufgabe.

Wie gross ist die Gefahr, dass jemand von der Regierung zum Sündenbock gemacht wird?

Diese Gefahr besteht durchaus. Die Staatsanwaltschaft hat gestern auch gesagt, dass man befremdlich darauf reagiert habe, dass so schnell mit dem Finger auf bestimmte Leute gezeigt wurde. Das ist nicht gut, man will in Ruhe vonseiten der Staatsanwaltschaft schauen, woran es lag, wo die Fehler waren.

Aber diese Regierung in Rom geht sehr populistisch zu Werk. Gerade die Fünf-Sterne-Bewegung hat es nicht so mit grossen Bauprojekten. Sie hat auch immer wieder die Sanierung dieser Brücke oder einen Neubau abgelehnt. Davon will man jetzt davon ablenken. Man zeigt auch auf die EU. Man wirft ihr vor, sie verhindere Investitionen, weil sie zu sehr auf die Spar- und Haushaltsdisziplin besteht. Auch das hat die EU zurückgewiesen.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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