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Bürgerkrieg im Sudan Zwischen Resilienz und Trauma: die Menschen von Port Sudan

Seit zwei Jahren tobt im Sudan ein brutaler Bürgerkrieg. Er hat die weltweit grösste humanitäre Katastrophe ausgelöst. Mehr Menschen, als in der Schweiz leben, sind innerhalb des Landes an sichere Orte geflüchtet. In solche wie die Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer.

Der erste Drohnenangriff seit Ausbruch des Krieges hat die Hafenstadt Port Sudan für immer verändert. Am Hafen, wo das Erdöl aus dem Südsudan raffiniert und dann über das Rote Meer exportiert wird, steigt eine schwarze Rauchsäule in den Himmel. Das Öl wird Tage, wenn nicht Wochen, brennen, und weitere Feuer um die Stadt haben mit ihrem Rauch den blauen Himmel in einen grauen verwandelt und die Sonne in einen orangefarbenen Feuerball.

Iman Osman lebt seit zwanzig Jahren hier und ist eine umtriebige sudanesische Geschäftsfrau. Die 64-Jährige hat einen holländischen Pass und könnte problemlos ausreisen. «Das kommt nicht infrage. Ich liebe mein Land, mit und ohne Krieg. Ich gehöre zu den Privilegierten, das heisst, ich kann nicht wegrennen, ich muss hierbleiben und anderen helfen, solange ich die Kraft dazu habe», erklärt sie vor ihrem kleinen Fischrestaurant am Strand von Port Sudan.

Sie kennt alle und alle kennen sie. Während sie wie eine Königin auf ihrem Plastikstuhl thront und immer wieder jemandem die Hände schüttelt, schweift ihr Blick ab und zu über die Uferpromenade. Dort machen junge Männer Selfies, im Hintergrund die sanft schaukelnden Wellen des Roten Meeres. Auf einer Bank hält ein Paar verstohlen Händchen. Osman bittet einen ihrer Angestellten, ihnen eine Shisha mit Erdbeergeschmack zu bringen. Eine Stimmung, wie sie friedlicher nicht sein könnte.

Erste Drohnen im Morgengrauen

Doch der Generator, der hinter der Küche rattert – die paramilitärischen Truppen der Rapid Support Forces (RSF) haben beinahe das gesamte staatliche Stromnetz zerstört –, sowie die pechschwarze Rauchwolke im Hintergrund erinnern daran, dass der Krieg auch hier angekommen ist.

Und wer es nicht glaubt, der merkt es spätestens in der Nacht, meistens zwischen drei und sechs Uhr in der Früh. Dann schickt die RSF ihre ersten Drohnen Richtung Flughafen und Hafen, wo diese mit lautem Knall explodieren, bevor das Geknatter der Drohnenabwehr der sudanesischen Armee beginnt und deren Raketen als Schwärme von roten Punkten über die Stadt fliegen.

Die schönsten Tauchgründe der Welt

Iman Osman flieht nach besonders nervenaufreibenden Nächten jeweils für ein paar Tage in ihr Resort 30 Kilometer ausserhalb von Port Sudan. Der Weg dorthin mutet idyllisch an. Nach einem improvisiert wirkenden Militärcheckpoint tauchen links bizarre Berge auf und rechts Kamelherden, die über die Strasse trotten.

Wir Sudanesen sind stark, wir haben schon so viel Leid und Drama erlebt und sind immer wieder aufgestanden.
Autor: Iman Osma Geschäftsfrau

Das Touristenresort, direkt am Roten Meer, wirkt wie eine verlassene Filmkulisse. Aus dem blauen Wasser ragt eine abblätternde Meerjungfrau aus Beton heraus, die Liegestühle sind verwittert und wackelig. Dabei hätte der Sudan grosses touristisches Potenzial. Die Tauchgründe im Roten Meer vor der sudanesischen Küste gehören zu den schönsten der Welt, und die Pyramiden stehen jenen von Ägypten in nichts nach.

Die 64-Jährige lässt sich von ihrem Traum nicht abhalten, dieses Resort zu renovieren, um eines Tages hier wieder Gäste zu empfangen. «Wir Sudanesen sind stark, wir haben schon so viel Leid und Drama erlebt und sind immer wieder aufgestanden.»

Die Mitarbeiter, die sie hierher mitgenommen hat, sind alle Binnenflüchtlinge, also Menschen, die vor dem Krieg aus anderen Städten nach Port Sudan geflohen sind. Die Geschäftsfrau ist überzeugt, dass sie ihnen am meisten hilft, indem sie ihnen Arbeit gibt. Der Schreiner, der Holztische zimmert und Türen repariert, pflichtet ihr bei.

Diese Arbeit gibt mir meine Würde zurück.
Autor: Mahmoud Najm Arbeiter

Mahmoud Najm stammt aus Karthum. Wie Millionen andere hat er sein Haus im Krieg verloren und musste fliehen. «Diese Arbeit gibt mir meine Würde zurück. Zudem ist es so schön und friedlich hier. Endlich kann ich mich vom Krieg etwas erholen und mich entspannen. Erstmals schlafe ich etwas besser und denke nicht pausenlos an den Krieg und meine Verwandten, die im ganzen Land verstreut sind.»

Hort für Überlebende und De-facto-Hauptstadt

Weil die Hafenstadt bis jetzt so sicher gewesen ist, sind Hunderttausende Menschen aus dem ganzen Land hierher geflohen. Wer es sich leisten kann, mietet eine überteuerte Wohnung, andere wohnen bei Verwandten, die meisten jedoch in Zelten und leer geräumten Schulen mitten in der Stadt. Hier haben sie die grösste Chance auf humanitäre Unterstützung, denn diese wird von Port Sudan aus koordiniert.

Die Stadt ist die Nabelschnur zur Aussenwelt. Die Angestellten der UNO-Organisationen und der zahlreichen NGOs landen hier, auf dem einzigen internationalen Flughafen, hier befindet sich auch der provisorische Sitz der sudanesischen Regierung.

Über zwölf Millionen Menschen, so die Schätzungen der Hilfsorganisationen, haben innerhalb des Sudans fliehen müssen. Mitten in Port Sudan wohnen 900 Frauen mit ihren Kindern in einer Art Minizeltstadt. Auf einem ehemaligen Fussballfeld einer Schule hat das UNO-Flüchtlingshilfswerk für sie Zelte aufgestellt. Die Botschaft von Saudi-Arabien liefert einmal pro Tag eine Mahlzeit, ansonsten sind die Frauen auf sich allein gestellt. 

Sie stammen aus den verschiedensten Ecken des Landes. Jede hat ihr persönliches Trauma und sonst wenig mitgebracht. Ihre Geschichten verweben sich zu einem unsichtbaren Teppich, auf dem man leider nicht davonfliegen, sondern zumindest die Füsse bei der Kaffeezeremonie ausstrecken kann.

Die Kaffeezeremonie ist heilig, kein Kaffee wird serviert, ohne dass ein kleines Stück Weihrauch auf einem Behälter mit einem einzigen Kohlestück einen wohlriechenden Duft verbreitet. Einige Frauen in dieser Zeltstadt trinken an jedem Spätnachmittag zusammen Kaffee aus winzigen Tassen und tauschen Neuigkeiten aus.

Tanzen gegen das Trauma

Eine von ihnen ist die 43-jährige Rajaa Khidir, eine Lehrerin aus Khartum. Einer ihrer Söhne wurde in den Kämpfen schwer verletzt, der andere kämpft immer noch gegen die RSF in Darfur. Sie sei mit ihren drei jüngeren Kindern hierher geflüchtet, um ein bisschen Frieden zu finden. «Jetzt herrscht auch hier Krieg. In der Nacht, wenn die Drohnen über uns hinweg fliegen, halten wir uns fest, wir fühlen uns so ungeschützt und so ausgeliefert in unserem Zelt. Wir würden nach Khartum zurückkehren, wenn wir könnten. Doch haben wir kein Geld, so können wir nirgendwo mehr hin.»

Schon vor diesen Angriffen habe sie beschlossen, die Kinder und alle Frauen etwas aufzumuntern und sie vom täglichen Trauma abzulenken. Sie begann, mit den Mädchen Tänze und Gesänge einzuüben, und hat diese bereits mehrmals mit grossem Erfolg aufgeführt.

Musik kennt keine Altersgrenze

Die resolute Lehrerin ruft etwas in die Menge, im Nu wird ein Gettoblaster herangeschleppt. Zwei Minuten und weitere Befehle später stehen die Töchter in Formation, und kaum ertönt die Musik, tanzen sie in Formation, während ihre Mütter und Grossmütter klatschen und die Hüften kreisen.

Das Tanzen hilft uns, den täglichen Schrecken besser auszuhalten und bringt uns als Gemeinschaft zusammen.

Die Musik kennt hier keine Altersgrenzen, sie reisst alle mit, und für einige Minuten scheint das Leben so schön wie sonst nirgendwo. «Der Krieg zerstört unsere Seelen und unsere Menschlichkeit, wir sind alle geschädigt, sogar unsere Kinder. Das Tanzen hilft uns, den täglichen Schrecken besser auszuhalten und bringt uns als Gemeinschaft zusammen.»

Unweit von diesem Zeltlager liegt die Uferpromenade und das Fischrestaurant von Iman Osman. Die Sonne verglüht hinter der Moschee, es ist bald Zeit für das Abendgebet.

Wenn der Generator zum Luxus wird

Die Geschäftsfrau hat es mittlerweile auf einer Bank bequem gemacht und checkt ihre neusten Sprachnachrichten. Das Fischrestaurant würde sie wahrscheinlich bald schliessen müssen, meint sie traurig. Seit den Drohnenangriffen habe sich der Preis für Benzin vervielfacht, einen Generator zu betreiben, könnten sich immer weniger leisten.

Während Iman Osman ihr buntes Kopftuch neu über ihrem weissen Haar arrangiert, erzählt sie, wie schon immer alle nach Port Sudan gekommen seien, um die Sorgen ins Meer zu werfen. Das sei hier eine Redewendung. Sie blickt zum mittlerweile dunklen Wasser: «Auch wenn die Drohnen uns in der Nacht terrorisieren – solange wir uns am Tag am Meer erfreuen können, so lange werden wir überleben.»

Echo der Zeit, 18.5.2025, 18 Uhr;herb

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