Zum Inhalt springen

Delegation zu Besuch in Genf Deshalb sind Gespräche mit den Taliban wichtig

Es geht in Genf um die humanitäre Hilfe für Afghanistan, aber auch darum, auf die Achtung der Menschenrechte zu pochen.

Darum geht es: Eine Delegation der radikalislamischen Taliban befindet sich derzeit in Genf – auf Einladung der Nichtregierungsorganisation «Geneva Call». Sie setzt sich für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts ein. Bei dem Aufenthalt wollen die afghanischen Taliban mit NGOs, aber auch mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundes sprechen.

Das ist der Anlass: Laut SRF-Südasien-Korrespondent Thomas Gutersohn geht es den Taliban einerseits um Hilfsgelder. «Afghanistan war ja immer abhängig von internationaler Hilfe. Bis zu 75 Prozent der öffentlichen Ausgaben waren in den letzten 20 Jahren immer von ausländischer Hilfe getragen. Und diese Hilfe fehlt im Moment.»

«Andererseits», glaubt Gutersohn, «werden die Taliban auch, wie schon bei früheren Konferenzen, auf die Freigabe der rund neun Milliarden Dollar afghanischer Staatsreserven pochen.» Dieses Geld liege im Moment auf amerikanischen Bankkonten. Es wurde nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 eingefroren.

Das ist die Absicht dahinter: Schon im Januar reisten die Taliban nach Oslo, um Gespräche zu führen. Mit ihrer jetzigen Reise nach Genf «geht es ihnen sicherlich auch darum, sich auf der internationalen Bühne zu zeigen, um etwas mehr Legitimation im Land zu erhalten», schätzt Gutersohn. Wobei die Taliban ja keine demokratische Regierung seien.

«Sie sind also nicht auf eine Wählerschaft angewiesen, bei der sie mit Fotos von der Teilnahme an internationalen Konferenzen punkten müssen», so Gutersohn. Sie würden damit eher versuchen, «die Position der de-facto-Regierung innerhalb der eigenen Reihen zu sichern».

«Wir anerkennen Länder, nicht Regierungen»

Box aufklappen Box zuklappen
Franz Grüter
Legende: Keystone

Franz Grüter (SVP/LU), Präsident der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N), sagt zu den Gesprächen mit den Taliban in Genf: «Die Schweiz hat eine lange diplomatische Tradition – das Gespräch mit allen Playern ist uns wichtig. Das heisst nicht, dass wir ihre Werte akzeptieren. Ich begrüsse es, wenn auch auf Ebene des EDA und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Gespräche stattfinden würden. Wir anerkennen nicht Regierungen, sondern Länder.»

Die Taliban-Vertreter treffen am Donnerstag eine Delegation der Deza, das dem EDA unterstellt ist. Dieses schreibt auf Anfrage, dass diese Gespräche weder die Legitimierung noch die Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuteten. Die Gespräche seien jedoch wichtig. Es ginge um die humanitäre Lage im Land, um grundlegende Menschenrechte, insbesondere auch für Frauen und Minderheiten. Genf biete ein neutrales Terrain, um im Dialog Lösungen zu finden für wichtige, aktuelle Probleme. Da gehöre es dazu, Vertreter der de-facto-Regierung in Afghanistan in diesen Dialog einzubinden.

Die Taliban sollen auch eine Delegation des IKRK treffen.

Hier besteht Hoffnung: Bei den Gesprächen in Genf soll es auch um die Achtung der Menschenrechte in Afghanistan gehen. In dem Punkt gebe es ein «sehr zaghaftes Entgegenkommen» gegenüber dem Westen, erklärt der Korrespondent. Insbesondere Frauenrechte hätten im Moment zwar keine Priorität bei den Taliban. Doch letzte Woche seien Universitäten in den wärmeren Regionen des Landes geöffnet worden.

«Frauen wurden zumindest nicht daran gehindert, die Klassenräume zu betreten», so Gutersohn. Es sei ihnen erlaubt worden, unter bestimmten Bedingungen – getrennte Klassenräume, eigene Schulbusse und Kopftuch – Kurse zu besuchen. «In Anbetracht der misslichen Lage im Land ist es doch fast fortschrittlich, dass Frauen gut ein halbes Jahr nach der Machtübernahme in gewissen Regionen wieder studieren können.»

So soll es weitergehen: Afghanische Journalisten berichten, dass die Taliban auch mit Vertreterinnen und Vertretern anderer europäischer Staaten sprechen wollen. Im Dialog mit den Taliban zu bleiben, sei «eminent wichtig», ist Gutersohn überzeugt. «Nur so können westliche Regierungen das Geschehen in Afghanistan weiterhin beeinflussen und auf Menschenrechte, auf Frauenrechte pochen und versuchen, diese zu stärken.» Von sich aus würden das die Taliban nicht tun.

Ohne solche Gespräche entbindet sich der Westen in jeglicher Form vom Einfluss oder Druck auf die Taliban.
Autor: Thomas Gutersohn SRF-Südasien-Korrespondent

Denn: «Die Taliban werden erst dann Bildung und Rechte als Priorität behandeln, wenn sie vom Westen eine Gegenleistung erhalten.» Dazu gehörten Fördergelder, Entwicklungshilfe, oder eben humanitäre Hilfe, wie sie die Bevölkerung im Moment wirklich dringend brauche. «Ohne solche Gespräche entbindet sich der Westen in jeglicher Form vom Einfluss oder Druck auf die Taliban, auf die Geschehnisse in Afghanistan», sagt der Korrespondent. «Insofern ist es wichtig, dass solche Gespräche wie letzte Woche in Oslo oder jetzt eben in Genf weitergeführt werden.»

Einladung kam von der NGO «Geneva Call»

Box aufklappen Box zuklappen
Alain
Legende: Alain Delétroz, Direktor von «Geneva Call». Keystone

Hinter der Einladung nach Genf steht die humanitäre Hilfsorganisation «Geneva Call», auf Deutsch: «Genfer Appell». Die katastrophale humanitäre Lage in Afghanistan sei der Hauptgrund, weshalb sie Vertreter der Taliban zu Gesprächen eingeladen hätten, sagt der Direktor der Organisation, Alain Delétroz.

Schätzungsweise 23 Millionen Menschen lebten in Afghanistan unter der Armutsgrenze. «Wir sind schon vor der Machtübernahme mit den Taliban in Verbindung gestanden und eines unserer wichtigsten Themen ist die Gesundheitsversorgung. Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschen- und insbesondere auch Frauenrechte respektiert werden, denn im Gesundheitswesen sind schätzungsweise 70 bis 80 Prozent Frauen tätig.»

Auch Alain Delétroz betont, er mache den Taliban-Vertretern klar, dass der Besuch ihre Machtübernahme in keiner Weise legitimiere. Doch wie kann man den Taliban-Vertretern vertrauen? Es bleibe nichts anderes übrig, um der Bevölkerung zu helfen, sagt Delétroz. Bei den Taliban-Vertretern, die in Genf weilten, handle es sich um einflussreiche Personen der de Facto-Regierung. «Wir erhoffen uns, dass sie die Macht haben, zu beeinflussen, dass die Menschenrechte respektiert werden.»

Er ist überzeugt, nur im Dialog mit den Taliban sei es möglich, auf Menschenrechte zu pochen und diese Forderungen an Hilfsgelder zu knüpfen.

SRF 4 News, 09.02.2022, 08:15 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel