Claudio Cancelli ist Bürgermeister der Gemeinde Nembro, einem Vorort von Bergamo. Gut ein Jahr nach dem ersten Covidfall sagt Cancelli: «Wir haben einen beträchtlichen Teil unserer ältesten Generation verloren. Jeder zehnte Bewohner Nembros über 80 ist im letzten Jahr dem Virus erlegen.»
Mehr als doppelt so viele Todesfälle
In einem normalen Jahr sterben in der 11'000 Seelengemeinde Nembro etwa 110 Bewohnerinnen oder Bewohner. Im letzten Jahr waren es aber 263. Mehr als doppelt so viele.
Bürgermeister Cancelli spricht von einem Sturm, der über sie hereingebrochen sei. Nembro sei immer eine Gemeinde mit viel Gemeinsinn gewesen: ein eigener Konzertsaal, eine eigene Bibliothek mit vielen Lesungen und Anlässen, Feste auf den Plätzen. Neben den vielen Toten belaste vor allem das Fehlen ihres sozialen Lebens.
Eine ärztliche Untersuchung zeigte, dass rund die Hälfte der Gemeinde-Bewohnerinnen und -bewohner Antikörper gegen das Coronavirus entwickelt haben. Sie hatten sich also im letzten Frühjahr angesteckt.
Bergamo und seine Vororte wurden so hart getroffen, auch weil das Virus allzu lange nicht erkannt worden war. Und als man das Virus schliesslich entdeckte, konnten sich die zuständigen Behörden lange Zeit nicht zu einem Shutdown durchringen.
Ein Gerichtsprozess läuft
Bürgermeister Claudio Cancelli sagt: «Es sind viele Fehler passiert, Fehler, die Wut auslösten.» Doch die Wut habe sich inzwischen gelegt. Heute gehe es darum, vor Gericht abzuklären, wer genau damals dafür verantwortlich war, dass man mit dem Shutdown allzu lange zuwartete. Ein entsprechendes Verfahren läuft.
Pasquale Pezzoli lebt nicht in Nembro, sondern wenige Kilometer entfernt in Bergamo. Pezzoli ist der Pfarrer der Kirche Santa Caterina, die sich ganz in der Nähe des zentralen Friedhofs befindet, dort, wo viele der Covid-19-Opfer liegen. Don Pasquale sagt: «Es gab so viele Abschiede. Meist waren sie einsam. Es war ja auch uns Seelsorgern untersagt, in die Spitäler zu gehen, um kranke Gemeindemitglieder zu besuchen.»
Nur der Spitalpfarrer hatte Zutritt. Doch das Sakrament der Krankensalbung, die letzte Ölung, durfte auch der Spitalpfarrer nicht spenden. Das Einzige, was Don Pasquale damals für seine Kranken tun konnte: Er konnte sie am Telefon trösten und segnen.
Aber oft, erzählt der Pfarrer, hatten die Sterbenden nicht einmal genügend Kraft um zu telefonieren. In den Messen erinnere sich die ganze Kirchgemeinde regelmässig an die vielen Opfer. Auch an jene unter den Priestern selbst.
Auch 25 Priester an Covid-19 gestorben
Allein im Bistum Bergamo starben 25 Priester, die sich in der Seelsorge mit dem Virus angesteckt hatten. Nun, zum Jahrestag, sind an vielen Orten rund um Bergamo Gedenkanlässe geplant.
Einen davon erwähnt Claudio Cancelli, der Bürgermeister von Nembro, stellvertretend für alle. Die Gemeinde hat lokale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, Leintücher des Spitals zu bemalen oder zu gestalten, um sie dann auszustellen.
Es sei ein Projekt, erklärt Cancelli, das ans Grabtuch erinnere, an jenes Tuch, das sich gemäss der Überlieferung in Turin befindet. Es soll das Tuch sein, in das Jesus nach der Kreuzigung eingewickelt gewesen sein soll.