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«Eine Verunsicherung bis weit in die westlichen Gesellschaften hinein»
Aus SRF 4 News aktuell vom 23.04.2018.
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Desinformation als Waffe «Ein leichtes Spiel für die Informationskrieger»

Russland verliert international an Renommee – und gewinnt innenpolitisch an Stärke, wie Fredy Gsteiger analysiert.

Russland hat in den letzten Wochen und Monaten die internationale Gemeinschaft regelmässig vor den Kopf gestossen: grossangelegte Cyber-Attacken, kompromisslose Unterstützung der syrischen Regierung oder die falsche Behauptung von Aussenminister Sergej Lawrow, Laborproben aus der Schweiz würden Russland in der Skripal-Affäre entlasten.

Das alles schädige zwar das Renommee Moskaus, sagt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF. Doch gehe die Strategie der Desinformation für Moskau zumindest teilweise auf.

Fredy Gsteiger

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

SRF News: Russland scheint wenig an harmonischen diplomatischen Beziehungen interessiert zu sein. Täuscht der Eindruck?

Fredy Gsteiger: Harmonie ist derzeit tatsächlich nicht das Ziel des Kremls, denn innenpolitisch stösst die konfrontative Haltung zum Westen auf Applaus. So ist auch das jüngste hervorragende Wahlergebnis für Präsident Wladimir Putin nicht mit wirtschaftlichen Erfolgen zu erklären, sondern vielmehr mit seiner harten Haltung in der Aussenpolitik. Hinzu kommt, dass Harmonie in der Politik in der Regel im Interesse des Stärkeren liegt. Er möchte, dass die Situation so bleibt, wie sie im Moment ist. Das ist derzeit nicht Russland, sondern das sind die USA und die Nato, also der Westen.

Unter den grossen Akteuren ist einzig noch die EU auf Harmonie und Besänftigung aus.

Der Schwächere dagegen hat ein Interesse daran, aufzumucken und er darf durchaus auch mal skrupelloser auftreten, um seine Interessen durchzusetzen. Derzeit führen allerdings auch andere Akteure auf der Weltbühne keine Politik, die auf Harmonie ausgelegt ist; man denke bloss an die USA unter Präsident Donald Trump oder die Chinesen, die zunehmend aggressiver auftreten. Unter den grossen Akteuren ist einzig noch die EU auf Harmonie und Besänftigung aus.

Russland erhebt den Anspruch, eine Weltmacht zu sein, doch untergräbt es systematisch seine Glaubwürdigkeit. Welche Strategie steckt dahinter?

Russland will nicht in erster Linie als glaubwürdig, sondern als stark wahrgenommen werden. Interessant ist, dass es mit seinen Lügen nicht eine einzige Interpretation der Wirklichkeit zum Besten gibt, sondern immer wieder neue und widersprüchliche Interpretationen ins Feld führt. Das betrifft die Besetzung der Krim, den Abschuss des Air-Malaysia-Flugzeugs über der Ostukraine oder die Giftgas-Einsätze im syrischen Krieg.

Offenbar reicht es Moskau, Unsicherheit zu verbreiten. Sie führt dazu, dass viele Menschen letztlich gar nichts mehr glauben.

Zwar dürfte kaum jemand ausserhalb Russlands – abgesehen von einigen Putin-Anhängern – die russischen Interpretationen glauben. Doch offenkundig reicht es Moskau, damit Unsicherheit zu verbreiten, welche dazu führt, dass viele Menschen letztlich gar nichts mehr glauben. Diesem Zweck dient auch die Weigerung, neutrale Institutionen wie die Chemiewaffenbehörde (OPCW) oder das Internationale Strafgericht in Den Haag einzubeziehen oder in ihrer Arbeit zu behindern.

Letzte Woche haben im UNO-Sicherheitsrat mehrere Länder den Russen vorgeworfen, sie hätten sich selber desavouiert. Ist das Misstrauen gegenüber Russland in der internationalen Gemeinschaft tatsächlich so gross wie noch nie?

Das ist wohl etwas übertrieben. Im 19. Jahrhundert zur Zeit der Kriege der Nationalstaaten, vor dem Ersten Weltkrieg oder im Kalten Krieg hat es durchaus Phasen gegeben, in denen das Misstrauen zwischen den bestimmenden Mächten sehr gross war. Sicher aber ist das Misstrauen derzeit grösser denn je seit dem Ende des Kalten Kriegs. Es hat sich in den letzten Jahren parallel zu den weltpolitischen Spannungen hochgeschaukelt. Gleichzeitig ist das Interesse, die Spannungen in der Weltpolitik zu überwinden, offensichtlich gesunken.

Wladimir Putin sitzt vor einer russischen Flagge, vor ihm ein Mikrofon.
Legende: Ein Informationskrieger wie aus dem Bilderbuch: Russlands Präsident Wladimir Putin. Keystone

Desinformation und Propaganda sind, gerade im Kontext des Kalten Kriegs, schon des Öfteren von beiden Seiten benutzt worden. Hat sich an der Qualität daran jetzt etwas geändert?

In der Sache nicht. Informationskrieg und Desinformation gibt es seit Jahrhunderten. Oft ist es ein Mittel des Schwächeren, denn Desinformation ist ein viel billigeres Kampfmittel als Panzer und Kampfflugzeuge. Auch kann dieses Mittel von autoritären Staaten tendenziell leichter angewendet werden, denn sie haben ihre eigenen Medien unter Kontrolle. So wird der russischen Desinformation nicht in erster Linie in den eigenen Medien widersprochen – denn diese sind schwach. Wenn jedoch die USA Fakenews verbreiten, kommt die Retourkutsche auch in den amerikanischen Medien.

Weltweit zweifeln viele Menschen an der Glaubwürdigkeit der Mainstream-Medien. Das erleichtert das Geschäft der Informationskrieger.

Inzwischen gibt es für den Informationskrieg allerdings neue Methoden: Internet und Cyberangriffe bilden dafür ein neues Terrain. Ausserdem fällt die Desinformation derzeit auf fruchtbaren Boden. Weltweit zweifeln viele Menschen an der Glaubwürdigkeit der Mainstream-Medien. Das erleichtert das Geschäft der Informationskrieger.

Auf wen kann Russland sich noch verlassen – wer sind seine verlässlichsten Partner?

Im Kreml sind sie wohl klug genug, sich auf niemanden wirklich zu verlassen. Tendenziell stehen die alten Getreuen wie Venezuela, Kuba oder Weissrussland zu Moskau. In Europa gibt es Sympathisanten wie Griechenland, Ungarn oder Serbien. Hier handelt es sich aber um opportunistische Regierungen, die solange auf Russland setzen, wie es ihren Interessen dient.

Die Chinesen betrachten die Russen nicht als ebenbürtig. Sie nützen sie als Partner, so lange sie ihren Zwecken dienen.

Dasselbe gilt für die Türkei. Dort herrschten in der Vergangenheit oft scharfe Gegensätze zu Russland, derzeit aber zelebriert man Freundschaft – das kann morgen schon wieder vorbei sein. Und China unterstützt Russland, weil diese Zweckallianz Peking im Bestreben, den Westen weiter einzudämmen und sich als neue Supermacht zu etablieren, nützt. Doch die Chinesen betrachten die Russen nicht als wirklich ebenbürtig. Sie nützen sie als Partner, so lange sie ihren Zwecken dienen.

Geht die Strategie Russlands auf, und spielt das Renommee tatsächlich keine Rolle mehr?

Zumindest teilweise geht sie auf. Zwar glaubt kaum jemand den russischen Darstellungen und Theorien. Doch durch sie entsteht eine weitgehende Verunsicherung bis weit in westliche Gesellschaften hinein – etwa, was beim Chemiewaffeneinsatz in Syrien tatsächlich die Wahrheit ist.

Das Gespräch führte Joël Hafner.

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