Das ist passiert: Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt Anfang Mai kündigte der neue deutsche Innenminister Alexander Dobrindt an, das Regime an Deutschlands Grenzen zu verschärfen. Um das europäische Dublin-Verfahren kümmerte er sich nicht. Das sei rechtswidrig, urteilte gestern das Berliner Verwaltungsgericht; Asylsuchende dürfen bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet nicht zurückgewiesen werden.
Der Fall: Konkret ging es um zwei Männer und eine Frau aus Somalia, die mit dem Zug aus Polen nach Deutschland reisten. Am 9. Mai wurden sie am Bahnhof Frankfurt (im Bundesland Brandenburg) durch die Bundespolizei kontrolliert. Nachdem sie ein Asylgesuch geäussert hatten, wurden sie noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen. Die Bundespolizei begründete die Zurückweisung laut Gericht mit der Einreise aus einem sicheren Drittstaat. Dagegen wehrten sich die Betroffenen per Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht. Welches Land letztlich für den Antrag zuständig sei, müsse in Deutschland nach dem sogenannten Dublin-Verfahren ermittelt werden, sagt das Gericht. Die Beschlüsse sind unanfechtbar. Das ist im deutschen Asylgesetz so festgeschrieben.
Das sagt Alexander Dobrindt: Trotz des Gerichtsurteils hält Innenminister Dobrindt an seinem Migrationskurs fest und will Asylbewerber weiter abweisen. Das Verwaltungsgericht Berlin habe sich in seinem Eilurteil auf einen Einzelfall bezogen, sagte der CSU-Politiker am Montagabend in Berlin. Man strebe daher ein weiteres Gerichtsverfahren an. Das Gericht habe ausführlichere Begründungen für die Zurückweisungen verlangt. Diese werde man liefern. Auch Kanzler Friedrich Merz hält an der Zurückweisung von Asylsuchenden fest: «Die Spielräume sind nach wie vor da», sagte Merz am Dienstag.
Das sagt die Koalitionspartnerin SPD: Sebastian Fiedler vom Koalitionspartner SPD erklärte, man werde mit Dobrindt sprechen, wie die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags umgesetzt werden könnten. «Die Erlasslage des Ministeriums und die Verfügungen des Präsidenten der Bundespolizei müssen zweifelsfrei mit Europarecht, deutschem Recht und unserem Anspruch, Schutzsuchenden zu helfen, vereinbar sein.» Im Koalitionsvertrag heisst es, dass Zurückweisungen auch von Asylbewerbern «in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn» vorgenommen würden. Was dies genau heisst, wurde jedoch nicht definiert.
Nachbarn über Dobrindts Migrationspolitik empört: Dobrindts Entscheid von Anfang Mai, das umzusetzen, was die Unionsparteien CDU und CSU im Wahlkampf angekündigt hatten, sorgte vom ersten Moment an für Aufregung. Nachbar Polen war verstimmt, Österreich wollte das nicht dulden, und auch aus der Schweiz kam Kritik.
«Niederlage» für Dobrindt: Das Urteil sei eine Niederlage für Dobrindt und auch für Bundeskanzler Friedrich Merz, sagt Auslandredaktorin Veronika Meier. Die deutsche Regierung sei zu weit gegangen und müsse ihre umstrittene Migrationspraxis nach diesem Entscheid vorerst einstellen. Ohne eingehende Prüfung des Asylgesuchs können Migrantinnen und Migranten also nicht mehr abgewiesen werden. Allerdings – das sagt das Gericht auch – kann das Dublin-Verfahren auch an der Grenze oder in grenznahen Bereichen stattfinden, solange es auf eigenem Staatsgebiet ist.