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Drohender Bürgerkrieg Gefährlicher Machtkampf im Irak spitzt sich zu

Das Land steckt in einer politischen Krise, die sich zunehmend zu einem Kampf zwischen zwei grossen Lagern entwickelt. Dieser Kampf wird immer handfester. Beobachterinnen und Beobachter warnen vor einem erneuten Bürgerkrieg.

Schon seit Wochen wird das hochgesicherte Regierungsviertel in Bagdad, die sogenannte Grüne Zone, belagert – durch Anhängerinnen und Anhänger des einflussreichen Geistlichen Muqtada As-Sadr. Dessen Bündnis hatte im Herbst die Parlamentswahlen gewonnen, eine Regierung zu bilden, gelang ihm jedoch nicht. Nun fordert As-Sadr Neuwahlen und eine neue Verfassung.

Männer am Beten
Legende: Geistliche und Politiker beim Freitagsgebet mit den Demonstrierenden vor der Grünen Zone in Bagdad. SRF / Susanne Brunner

Gegenüber demonstriert das andere Lager, die Anhängerschaft von Ex-Premier Nuri Al-Maliki, der dem Iran nahesteht. Dem Land, das seit Jahren immensen Einfluss auf den Irak ausübt.

Zunächst zu den Sadristen: Hunderte von Demonstranten sitzen bei 48 Grad Hitze auf dem Asphalt. Ihr einziger Schutz vor der gleissenden Sonne sind Regenschirme – und die Unmengen von kaltem Wasser, das As-Sadrs Helfer unablässig verteilen.

Männer schälen Melonen
Legende: Die Helfer Muqtada As-Sadrs versorgen die Demonstrierenden vor der Grünen Zone in Bagdad mit Mahlzeiten und Wasser, was gerade auch die Armen anlockt. SRF / Susanne Brunner

Trotz der Gluthitze: die Männer verpassen keinen Einsatz für die Sprechchöre, zu denen sie der Prediger auffordert.

«Ja zum Irak!» rufen sie, und «nein zur Korruption!» Auffallend viele Kinder und Jugendliche sitzen in der Menge betender Männer oder treiben sich zwischen den Ständen herum, wo As-Sadrs Helfer grosszügig Essen verteilen. Man sieht den Jugendlichen an, wie hungrig sie sind – und wie verzweifelt.

Brunner interviewt Teenager
Legende: Ein 17-Jähriger erklärt, warum er in den von Muqtada As-Sadr angeführten Protesten gegen die politische Elite Iraks letzte Hoffnung auf eine bessere Zukunft sieht. SRF / Susanne Brunner

«Mit den Parteien, die jetzt an der Macht sind, gibt es im Irak keine Zukunft», sagt ein 17-Jähriger. «Aber so Gott will, As-Sadr wird das ändern!»

Die Männer und die wenigen Frauen, die seit drei Wochen vor der Grünen Zone ausharren, und zu Beginn ihres Protests sogar das Parlament stürmten, feiern As-Sadr als letzte Hoffnung für eine bessere Zukunft.

Männer halten Plakat von Politiker
Legende: Auf As-Sadr setzen Millionen von Irakerinnen und Iraker ihre ganze Hoffnung: Sie glauben ihm, dass er aus dem geschundenen Land wieder einen funktionierenden Staat machen kann. SRF / Susanne Brunner

«Es ist unsere letzte Chance,» sagt ein Mitdreissiger. Die letzte Chance, Premier Al-Malikis gierigen Machtapparat zu zerschlagen, erklärt ein Ingenieur. «Sie haben unser Land gestohlen, unsere Landwirtschaft, unsere Fabriken zerstört. Sie haben unser Öl gestohlen und den Irak zerstört. Warum?» Trotz der Wut, die Stimmung ist friedlich.

Brisante Tonbandaufnahme

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Die Wut des Ingenieurs auf die alte Regierung kommt nicht von ungefähr: Vor ein paar Tagen gelangte eine brisante geheime Aufnahme an die Öffentlichkeit. Zu hören ist, wie der ehemalige Premier Al-Maliki über seine guten Beziehungen zu den iranischen bewaffneten Gruppierungen spricht, die Hunderte Irakerinnen und Iraker getötet haben sollen. Al-Maliki droht in der Aufnahme gar verächtlich mit Krieg gegen die Sadristen. An der Echtheit der Aufnahmen hegen die Sadristen keine Zweifel.

Das andere Lager

Ebenso friedlich ist sie auf der anderen Seite, im Zeltlager der Anhänger Al-Malikis. Auch hier fehlt es den Demonstranten an nichts: Speis und Trank sind gratis, in den Zelten surren Ventilatoren neben Matratzen, wo sie sich ausruhen und etwas abkühlen können. Aus den Lautsprechern ertönen unaufhörlich Gebete.

Protestlager
Legende: Die Anhänger von Nuri Al-Maliki, ex-Premier des Irak, haben ihr Lager gleich auf der anderen Seite des Flusses Tigris aufgeschlagen. SRF / Susanne Brunner

Den Al-Maliki-Anhängern geht es ähnlich schlecht wie den Sadristen: sie leiden unter Arbeitslosigkeit, Strom- und Wassermangel, einer miserablen Staatsverwaltung.

Doch während die Führungsriege der Sadristen Interviewanfragen von SRF mehrmals mit der Begründung «keine Zeit» ablehnt und die einfachen Leute sprechen lässt, will die Führungsriege des Al-Maliki Lagers selbst reden.

Gefahr eines Bürgerkriegs

Eine wichtige Figur, Sheikh Hadier Al-Lamee, kennt As-Sadr seit der Studienzeit. Er sagt: «Wir haben sogar vier Jahre zusammen in Iran studiert.». Und meint: Weil er ihn kenne, wisse er, was für ein gefährlicher Populist As-Sadr sei. «Wer die Korruption bekämpfen will, soll erst vor der eigenen Haustüre wischen. Wer keine Ehre hat, kann nicht über Ehre sprechen, wer nicht tapfer ist, soll nicht über Mut sprechen.»

Sein Hauptvorwurf an Sadr: Er entzweie die schiitische Bevölkerung im Irak, was ein lachender Dritter ausnützen könnte, um einen Bürgerkrieg zu entfachen. «Ein solcher Krieg hätte keine Sieger: Die Verlierer wären der Irak und die gesamte Region.»

Auto steht auf Strasse
Legende: Checkpoint zum Zeltlager der Al-Maliki-Anhänger. SRF / SUSANNE BRUNNER

Auf die Frage, wie die Eskalation zu einem Bürgerkrieg verhindert werden könne, hat die Parlamentsabgeordnete Tanna al-Rubiay nur eine Antwort: «Seitdem Al-Maliki zurücktreten musste, ging es mit dem Irak nur bergab. Eine neue Regierung zu bilden ist die einzige Lösung», sagt die Al-Maliki-Anhängerin. Genau das schaffen die zerstrittenen politischen Lager jedoch seit bald einem Jahr nicht.

Erst als die wichtigen Leute im Al-Maliki-Lager gegangen sind, wagt ein 13-jähriger Junge etwas zu sagen: «Ich habe Angst vor der Zukunft.»

Echo der Zeit, 20.8.2022; 18 Uhr

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