Im Irak sorgt derzeit der schiitische Geistliche und Politiker Muktada al-Sadr für grossen politischen Aufruhr. Seit einem Monat belagert seine Anhängerschaft das Parlament im hochgesicherten Regierungsviertel Bagdads und fordert eine Revolution. Gestern Dienstag demonstrierten diese auch vor dem Höchsten Gericht.
Zwar kam es bislang nicht zu Gewalt zwischen Sadr-Anhängern und Gegnern, aber die politische Krise droht sich zuzuspitzen. Denn Sadr fordert nichts weniger als eine komplette Änderung des korrupten irakischen Polit-Systems.
Nach dem Freitagsgebet im Regierungsviertel Bagdads wollen Demonstranten einen Blick ihres Idols erhaschen. Immer wenn ein schwarzer Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben heranfährt, hoffen die Männer, es sei Sadr. «Iran, die USA – alle führen sie Krieg im Irak – Herr Muktada Al-Sadr wird uns retten», sagt ein Demonstrant. Er ist zu jung, um zu wissen, wie oft sich Sadr in den letzten 20 Jahren gewandelt hat.
Was plant der frühere Chef der Mahdi-Armee?
Nach der US-Invasion des Irak 2003 zum Sturz Saddam Husseins gründete der damals 29-jährige Sadr seine gefürchtete Mahdi-Armee. Mit dieser kämpfte er – mit der Unterstützung Irans – erbittert gegen die US-Besatzung. Nebenbei liess er auch politische Gegenspieler und Sunniten entführen und umbringen.
Obwohl Sadr seine Mahdi-Armee noch hat: Als schiitischer Milizenführer mit guten Beziehungen zu Iran wolle dieser heute nicht mehr gesehen werden, sondern als nationale Führungsfigur für alle Irakerinnen und Iraker, sagt Abdul Jabbar Ahmad, Professor für Politikwissenschaften an der Bagdad Universität.
«Ob er es ehrlich meint oder nicht, weiss ich nicht, aber heute redet Sadr jedenfalls vom irakischen Volk: Er will es von der korrupten politischen Elite befreien, Irak eine neue Verfassung geben und aus dem Würgegriff fremder Mächte befreien», sagt der Politologe.
Anzeichen für ehrliche Absichten
Es gebe einige Hinweise, dass Sadr es ernst meine mit seiner Revolution, so der Wissenschafter. Mit bald 50 wolle er in die Geschichte des Irak eingehen. Auch wolle er so beliebt werden wie sein Vater, ein angesehener schiitischer Geistlicher, der mutmasslich von Saddams Schergen ermordet wurde. Auch das Umfeld von Sadr sei heute anders als 2004. Statt mit bewaffneten Kämpfern umgebe er sich heute mit Leuten mit Doktortitel.
Damals bestand Sadrs Umfeld aus bewaffneten Kämpfern, heute umgibt er sich mit Leuten, die einen Doktortitel haben.
Entsprechend betone Sadr auch immer, es brauche Leute in der Regierung, die wüssten, wie man aus dem Irak wieder eine blühende Wirtschaftsmacht machen könne.
Der Politologe glaubt nicht, dass Sadr der nächste Diktator des Irak werden will. Zwar habe Sadrs Parteienbündnis die Parlamentswahlen im vergangenen Herbst gewonnen – er selbst habe aber für kein Amt kandidiert: «Es geht nicht um die Person von Muktada al-Sadr, sondern um die goldene Gelegenheit, etwas im Irak zu verändern.»
Es geht nicht um die Person von Muktada al-Sadr, sondern um die goldene Gelegenheit, etwas im Irak zu verändern.
Gefahr von Eskalation
Tatsächlich scheint die Gelegenheit günstig: Zwar fordere Sadr zurzeit Irans politische Macht im Irak heraus. Aber Iran sei an einer Neuauflage des Atomabkommens mit dem Westen interessiert und halte sich deshalb zurück, so der Politologe.
Trotzdem sei die Gefahr einer Eskalation gross, solange Sadr mit Demonstrationen Neuwahlen zu erzwingen versuche. Der Politik-Professor ist überzeugt: «Wenn Sadr scheitert, geht es im Irak mit Korruption und Elend weiter wie in den letzten 20 Jahren. Dann gibt es keine Hoffnung für das irakische Volk.»