Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hat US-Präsident Joe Biden Polen besucht, zum zweiten Mal hat er eine Rede gehalten vor dem Warschauer Königsschloss. Zum zweiten Mal hat er Polen der unzertrennbaren Bande mit den USA versichert, Russland zu verstehen gegeben, dass Polen heute unantastbar ist. Und überall kann man lesen, ein Jahr nach Kriegsbeginn in Polens Nachbarland Ukraine, Polen sei wichtiger geworden. Allein diese Feststellung hat das Land und seine Regierung versöhnlicher gestimmt.
Wie misst man Polens Wichtigkeit? Zuerst ist da die unumstössliche Geografie: Wenn Waffen, Stromgeneratoren oder Staatspräsidentinnen in die Ukraine gelangen sollen, dann tun sie das über Polen. Wenn der ukrainische Präsident ausreist, tut er das über Polen. Polen ist logistische Drehscheibe für überlebenswichtige Hilfe und symbolträchtige Momente geworden.
Starke Armee, starke Wirtschaft
Dann ist Polen militärisch wichtiger geworden: Kaum ein Land in Europa kauft gerade so viel militärisches Gerät ein, vor allem in den USA und in Südkorea. Kaum ein Land will so viele zusätzliche Bürgerinnen und Bürger für die Armee gewinnen. Polen wird dadurch interessanter für Übungen mit den Amerikanern und attraktiver für die Stationierung amerikanischer Truppen. Wichtiger für die grösste Militärmacht der Welt.
Zu den greifbaren Belegen für Polens zunehmende Wichtigkeit gehört auch die Wirtschaft: Natürlich würde das Land ohne Geld aus der Europäischen Union schlecht zurechtkommen, aber es gehört seit Kurzem zu den 25 am meisten entwickelten Volkswirtschaften der Welt, als erstes osteuropäisches Land. Polen hat wirtschaftlich betrachtet einige südeuropäische Länder überholt. Und wenn es so weitergeht, kommt Europa bald auch im Wirtschaftsleben nicht mehr um das Land mit seinen fast 40 Millionen Einwohnern herum.
Und dann ist da die Wichtigkeit – oder besser gesagt moralische Autorität – dessen, der recht gehabt hat: Polen hat schon lange vor Russland gewarnt. Andere haben das als obsessive Geschichtsversunkenheit abgetan, als Nachwehen des polnischen Leidens unter russischer Aggression. Heute können sie das nicht mehr. Und das gefällt den Polinnen und Polen wahrscheinlich am besten. Sie, die sich jahrhundertelang ignoriert oder sogar malträtiert gefühlt haben von ihren Nachbarn, haben dieses Mal anderen eine Lektion erteilt.
Sanfter dank Anerkennung
Vielleicht ist es diese Befriedigung, die auch die polnische Regierung in letzter Zeit etwas besänftigt hat. Vor anderthalb Jahren noch liess sie die Regeln der EU, die Polen mit seinem EU-Beitritt als übergeordnet anerkannt hatte, für teilweise ungültig erklären. Wollte Gerichte stärker kontrollieren. Malte immer mal wieder Feindbilder, zum Beispiel mit Menschen nicht-heterosexueller Orientierung oder Flüchtlingen.
Jetzt aber ist es ruhiger geworden rund um Minderheiten, und zumindest ukrainische Flüchtlinge sind willkommen. Ausserdem bemüht sich der grössere, besonnenere Teil der polnischen Regierung, die Gerichte wieder etwas unabhängiger arbeiten zu lassen.
Natürlich hat Polens Regierung nicht ihre Überzeugungen geändert. Es geht ihr darum, an blockierte EU-Gelder zu kommen. Aber während sie vor dem Krieg in der Ukraine noch trotzig behauptete, man werde sich der EU nicht beugen, scheint die internationale Anerkennung nun sanftere Töne möglich zu machen. Ein bisschen, wie wenn es beim Streiten der einen gelingt, freundlich zu bleiben – und der Gegner plötzlich wieder mitmacht.