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Ein Jahr nach Assad Syrer im Exil: «Weihnachtsbäume wurden verbrannt – das ist neu»

Ein Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes ist die Hoffnung in Syrien der Ernüchterung gewichen. Die Autorin Lubna Abou Kheir ist vor fast 10 Jahren und der Migrationsexperte Ashti Amir vor 25 Jahren in die Schweiz geflüchtet. Wie sehen sie die Entwicklung in diesem Jahr?

Lubna Abou Kheir

Autorin und Schauspielerin

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Lubna Abou Kheir ist in Damaskus geboren und hat dort am «Higher Institute of Dramatic Arts» studiert. Sie ist Autorin und Schauspielerin und lebt seit 2016 in Zürich, wo sie mehrere deutschsprachige Theaterstücke sowie Prosatexte veröffentlicht hat.

Ashti Amir

Migrationsexperte

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Ashti Amir ist Mitinitiator des Vereins SyriAid. Der engagierte Exil-Syrer ist wegen seiner Menschenrechtsaktivitäten in die Schweiz geflüchtet. Auch hier engagierte er sich stets für Menschenrechte und die Demokratisierung Syriens. Er lebt mit seiner Familie in Bern.

SRF: Mit welchen Gefühlen schauen Sie heute nach Syrien?

Lubna Abou Kheir: Mit Enttäuschung, Wut und Hoffnungslosigkeit. Nach dem Sturz dachten wir, wir könnten unser Land wieder aufbauen. Doch dieser Traum hat sich nach den Massakern gegen verschiedene Minderheiten nicht realisiert. Meine Familie gehört zur Minderheit der Drusen. Im Sommer lebte sie in ständiger Gefahr. Es war der schlimmste Sommer meines Lebens.

Wir müssen lernen, einander zu verstehen, so wie die Schweiz es mit ihren verschiedenen Sprachen geschafft hat.

Ashti Amir: Ich habe gemischte Gefühle, sehe aber nicht ganz schwarz. Ich war im November in Syrien, es fanden viele Sitzungen statt. Ich habe verschiedene Delegationen von Drusen, Alawiten oder Christen getroffen. Es gibt Konflikte, es gibt Streitpunkte, aber es gibt auch gemeinsame Punkte. Und darauf sollte man sich im Interesse des Landes einigen. Meine grösste Sorge ist die Islamisierung des Landes. Das passt nicht zu Syrien mit seinen vielen verschiedenen Konfessionen und Religionen.

Ein nationaler Dialog scheint entscheidend, aber er stockt. Woran scheitert er?

Lubna Abou Kheir: Das Problem beginnt bei der Sprache. Ich als Künstlerin konzentriere mich darauf. In Syrien gibt es tiefe Gräben, nicht nur zwischen Kurdisch und Arabisch. Auch die arabischsprachigen Gruppen – Islamisten, Drusen, Christen – haben ihre eigene Sprache und Philosophie, die sie voneinander trennt. Wir müssen lernen, einander zu verstehen, so wie die Schweiz es mit ihren verschiedenen Sprachen geschafft hat. Nur so kann ein echter Dialog entstehen.

Die westlichen Länder dürfen nicht wegschauen.

Ashti Amir: Die offizielle Dialogkonferenz ist gescheitert, weil die wichtigsten Kräfte der Kurden, Alawiten oder Drusen nicht eingeladen wurden. So kann man keinen Dialog führen. Gleichzeitig sehen wir beunruhigende Zeichen: In mehreren Städten wurden Weihnachtsbäume verbrannt. Das ist neu und macht mir Sorgen.

Welche Lösungen sehen Sie?

Lubna Abou Kheir: Die Lösung kann nicht sein, dass die EU einfach ihre Türen öffnet und noch mehr Flüchtlinge aufnimmt. Wir können nicht einer halben Million Drusen sagen, sie sollen ihr Land verlassen und im Exil leben. Wir Syrer müssen selbst eine Lösung finden und ein System aufbauen, das zu uns passt. Nach neun Jahren in der Schweiz sehe ich dieses Land als Vorbild. Ich möchte meine Erfahrung mit diesem politischen System nach Syrien bringen.

Menschenmenge bei Protest mit Flaggen und Plakaten unter blauem Himmel
Legende: Zwischen verschiedenen Minderheiten in Syrien gibt es einige gemeinsame Punkte – aber auch Konflikte. AP Photo / Omar Albam

Ashti Amir: Wir müssen für ein säkulares System kämpfen. Wenn das Land weiter islamisiert wird, werden wir eine neue grosse Flüchtlingswelle von Minderheiten wie Christen, Alawiten und Kurden Richtung Europa erleben. Die westlichen Länder dürfen nicht wegschauen, sondern müssen jetzt den Dialog mit der Regierung suchen, um Lösungen für die Zukunft zu finden.

Das Gespräch führte Karoline Arn.

 

Tagesgespräch, 29.12.2025, 13 Uhr ; 

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