Mitten in der Altstadt von Homs macht ein grosses Plakat auf eine Ausstellung über Syriens Gefangene und Verschwundene aufmerksam – ein Thema, über das man während der Assad-Diktatur höchstens hinter vorgehaltener Hand sprach.
Für die Angehörigen ist es wichtig, dass wir Anteil nehmen an ihrem Leid.
Über 100'000 Menschen sind während des Krieges verschwunden, der 2011 als Aufstand gegen Assad begonnen hatte. Viele wurden in den Gefängnissen des Regimes zu Tode gefoltert oder exekutiert. Andere wurden von islamistischen Milizen entführt.
Es ist vieles am Entstehen
«Die Ausstellung tourt durch das ganze Land», sagt Azza Abdallah. Sie ist hier für ein Treffen mit den Organisatorinnen. Azza Abdallah engagiert sich in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen in Homs.
«Für die Angehörigen ist es wichtig, dass wir Anteil nehmen an ihrem Leid», betont sie. Alle würden einen Preis in diesem Krieg bezahlen – aber nicht alle denselben.
Auch Azza Abdallah hat im Krieg viel verloren. Ihre drei Söhne sind ausgewandert, um nicht in Assads Armee kämpfen zu müssen. Ihr Haus wurde zerstört, ebenso die Apotheke ihres Mannes. «Wir mussten mit nichts wieder anfangen», sagt sie.
Es sind kleine Erfolge. Aber wir tun, was wir können.
Unter Assad sei jegliche zivilgesellschaftliche Aktivität verboten gewesen. Jetzt sei vieles im Entstehen. Es gehe darum, sich im neuen Syrien einen Platz zu sichern.
Sehnsucht nach Sicherheit und Frieden
Für Azza Abdallah beginnt das im Kleinen. Etwa damit, dass sie und andere sich geweigert haben, bei öffentlichen Versammlungen eine Geschlechtertrennung zu akzeptieren. Dazu muss man wissen: Von den neuen Machthabern haben viele einen islamistischen Hintergrund.
Sie habe sich bei einer Veranstaltung mit Absicht auf die Männerseite gesetzt. Andere Frauen hätten es ihr daraufhin gleichgetan. Inzwischen hätten sich die Leute so an vielen Orten durchgesetzt, sagt Azza Abdallah. «Es sind kleine Erfolge. Aber wir tun, was wir können.»
«Homs, Hauptstadt des Friedens» heisst eine der Organisationen, bei denen Azza Abdallah aktiv ist. Einst nannte man Homs die Hauptstadt der Revolution, weil hier die Protestbewegung gegen Assad besonders stark war. Jetzt sehnen sich die Menschen nach Frieden, Stabilität, Sicherheit.
Gerechtigkeit gefordert
Im Büro der Organisation treffen sich Aktivistinnen und Aktivisten und besprechen ihre Vorhaben. Es geht zum Beispiel darum, wie der Dialog unter den Bevölkerungsgruppen gestärkt, wie Gräben überwunden werden können. Und wie man die neuen Machthaber in die Pflicht nimmt.
An den Wänden des Büros hängen Post-Its voller Ideen zu Themen wie Würde, Flucht, Gewalt, Frieden.
Jetzt gibt es mehr Freiheiten für Syrer wie Ayman Asad. Aber Freiheit allein reicht nicht. Viele Leute hätten alles verloren, sagt Ayman Asad, sie lebten in zerstörten Häusern, sie wollten Gerechtigkeit. «Darum ist es dringend nötig, dass es endlich eine richtige Übergangsjustiz gibt. Eine, die niemanden verschont, der Blut an den Händen hat!»
Viele Rachemorde
Das wünscht sich auch seine Mitstreiterin Azza Abdallah. Denn solange das nicht passiere, würden die Leute das Recht in die eigene Hand nehmen. Damit meint sie die Morde, die derzeit vor allem Homs erschüttern. In vielen Fällen sind es Racheakte.
Die Syrerinnen und Syrer brauchten endlich Sicherheit und wirtschaftliche Perspektiven. Und psychische Heilung. Um vorauszuschauen und das viele Leid und den Schmerz hinter sich zu lassen, sagt Azza Abdallah.