Während des Krieges wurde Aleppo von verschiedenen Fraktionen kontrolliert, das Stadtzentrum und der Westen waren unter der Gewalt der Regierungstruppen von Bashar al-Assad, während der Osten durch die damaligen Rebellen und heutigen Machthaber kontrolliert wurde. Der von der kurdischen Minderheit bewohnte Norden Aleppos war – und ist immer noch – unter dem Einfluss der kurdischen Milizen der SDF, den Syrischen Demokratischen Kräften. Während sich die syrische Armee nach dem Krieg auflöste, stehen sich heute in Aleppo noch immer kurdische Einheiten und Milizen der neuen Regierung gegenüber.
Schwierige Eingliederung der SDF-Kämpfer
Im März dieses Jahres begann ein Verhandlungsprozess zur Eingliederung der kurdisch geführten SDF-Kämpfer und -Kämpferinnen in eine nationale Armee. Diese Verhandlungen müssten Ende Jahr zu einem Ergebnis kommen, doch davon scheint man noch weit entfernt. Das Problem: Die ehemaligen Rebellen, die nun in Damaskus regieren, sowie die Kurden sehen sich als Sieger des Krieges gegen Assad.
Die jetzigen Machthaber in Damaskus sehen ihren Sieg in der Vertreibung von Baschar al-Assad vor einem Jahr. Die Kurden hingegen haben über fast ein Jahrzehnt eine Selbstverwaltung mit eigenen Streitkräften im Nordosten des Landes aufgebaut und wollen diese nicht ohne weiteres aufgeben.
Die Verhandlungen sind von Maximalforderungen geprägt. Damaskus strebt die vollständige Auflösung der SDF an und will deren Kämpfer nur individuell in die neue Armee integrieren. Die kurdische Führung hingegen will das Verteidigungsministerium übernehmen. Ein Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren könnten, liegt bis anhin nicht auf dem Tisch.
Druck vonseiten der Türkei
Derweil wächst der Druck von aussen. Der türkische Präsident Erdogan hat wiederholt klargemacht, dass die Türkei militärisch eingreifen werde, sollte bis Jahresende keine Einigung erzielt werden. Sein Aussenminister Hakan Fidan bekräftigte diese Haltung bei seinem jüngsten Besuch in Damaskus und gab den Kurden die Schuld am bisherigen Scheitern der Gespräche.
Die Türkei agiert als Schutzmacht der neuen Regierung in Damaskus, die sie schon während des Krieges unterstützte. Aus Ankaras Sicht ist ein geschlossener kurdischer Militärblock innerhalb einer künftigen syrischen Armee inakzeptabel. Die türkische Regierung betrachtet die SDF als syrischen Ableger der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und drängt daher auf ihre vollständige Auflösung.
Solange eine politische Einigung über die künftige Machtverteilung ausbleibt, können sich lokale Scharmützel wie in Aleppo jederzeit zu einem neuen Flächenbrand ausweiten. Eine direkte Konfrontation zwischen den beiden grössten Militärblöcken des Landes – der Truppen der Übergangsregierung und der SDF – würde Syrien erneut destabilisieren. Dieser Gefahr scheinen sich die Konfliktparteien zumindest bewusst zu sein. Sowohl Damaskus als auch die kurdische Führung haben ihre Einheiten umgehend aufgefordert, die Kämpfe einzustellen.
Für einen längerfristigen Frieden ist aber eine politische Lösung von entscheidender Bedeutung.